Finkenmoor
bitter. »Na ja, das kann ja wohl kaum ein Zufall sein.«
»Gibt es Beweise?«, fragte Iska. »Aufzeichnungen, Pläne, irgendetwas, was ihren Verdacht erhärtet? Hat die Polizei Anhaltspunkte in diese Richtung gefunden?«
»Nein, nichts. Annas Wohnung glich einem Musterhaus. Kaum Persönliches, kein Hinweis auf Kallwitz.«
»Gar nichts?«
»Warum fragen Sie?«
Iska schwieg.
Georg schüttelte den Kopf. »Aber gerade diese Sterilität hat die Ermittler stutzig gemacht, das und die Tatsache, dass der Zufall zu unglaubwürdig erscheint.«
Iska fühlte sich auf einmal entsetzlich müde, sie wollte nicht weitergehen und hatte kein Interesse daran, die Unterhaltung fortzusetzen. Bevor sie und Georg die Treppen zum Aufgang des Deichs erreichten, blieb sie stehen.
»Ich weiß nicht, was Anna geplant hatte oder nicht. Wir kannten uns kaum. Mir hat sie jedenfalls nichts in dieser Richtung anvertraut.« Iska reichte Georg die Hand. »Ich möchte jetzt nach Hause. Es war ein anstrengender Tag. Ich wünsche Ihnen und Ihrer neuen Familie alles erdenklich Gute.«
Georg schien verdutzt, er wollte noch etwas sagen, aber Iska ließ ihn stehen. Sie wusste, dass er ihr hinterherblickte. Deshalb hielt sie sich aufrecht, ging so schnell sie konnte an der Bushaltestelle vorbei, an der sie ihren ersten Mann früher nach der Arbeit immer abgeholt hatte, und bog in die Kurparkallee ab. Erst jetzt ließ sie ihren Tränen freien Lauf, weinte und schluchzte, konnte sich kaum beruhigen.
Anna hatte ihren Plan in die Tat umgesetzt, ihren Sohn gerächt. Konsequent, allein, mutig, und dafür mit ihrem eigenen Leben bezahlt.
Wut überrollte Iska – weil Anna den eigenen Tod offenbar in Kauf genommen hatte. Doch war das wirklich der Grund für ihren Zorn? Bei genauerer Betrachtung war da noch ein anderes Gefühl – Iska empfand Bewunderung, auch wenn sie sich dafür schämte.
Bevor sie nach Hause fuhr, hielt sie am Getränkemarkt in der Brockesfelder Chaussee und lud Wasser und Apfelsaft in den Einkaufswagen.
Zu ihrer Verwunderung stand Kilian, Maxis Bruder, hinter der Kasse. Gelangweilt nahm er Leergut an und kassierte die Einkäufe der enormen Kundenschlange ab.
Seit dem Prozess damals traf sie Kilian manchmal zufällig, am Strand, auf der Straße. Die jungen Augen wirkten traurig, wahrscheinlich auch heute. Sein Anblick löste in Iska Schuldgefühle aus. Natürlich war das Unsinn. Sie traf keine Schuld, weder an Ivos Tod noch an Maxis Schicksal, aber rational ließen sich solche Dinge nicht erklären.
Nach dem Gespräch mit Georg fehlte Iska die Kraft, sich jetzt auch noch mit Kilian zu konfrontieren. Anna Koranth beherrschte ihre Gedanken. Deshalb stellte sie die Getränkekisten zurück und verließ den Laden, hoffte, dass Kilian sie nicht gesehen hatte.
»Iska!«
Widerwillig blieb sie stehen, drehte sich um. Kilian kam über den Parkplatz. Den Kittel des Getränkemarktes hatte er nicht zugeknöpft. Darunter trug er ein kariertes Hemd, das nur an einer Seite in die Jeans gesteckt war.
Er streckte ihr seine Hand entgegen. Iska erwiderte seinen schlaffen Händedruck.
»Ich habe Sie ewig nicht gesehen.«
Iska lächelte. »Wie geht es dir?«
Kilian schob die Hände in die Taschen, er schien nervös.
»Kann ich etwas für dich tun?«
Er schüttelte den Kopf.
»Wie geht es Maxi?« Iska suchte nach den richtigen Worten. »… Spricht sie mittlerweile?«
»Nein.«
»Was sagen die Ärzte?«
»Sie machen uns nach wie vor wenig Hoffnung. Maxi spricht nicht, befindet sich immer noch in einer Art depressivem Zustand, es ist schrecklich.«
»Aber da muss doch etwas möglich sein«, sagte Iska. »Nach so vielen Jahren! Ich verstehe das einfach nicht!«
»Maxi ist in Behandlung. Sprachtherapie, Psychologe, Reiten. Wir können nur hoffen, dass sie sich uns eines Tages wieder zuwendet, das sagen jedenfalls die Ärzte.«
Iska sah, dass Kilian genau wie sie mit Tränen kämpfte.
»Jetzt ist das alles schon so lange her«, sagte er stockend. »Maxi war unser Sonnenschein, gerade nach Mamas Tod. So fröhlich, gut in der Schule, musikalisch, sportlich. Sie liebte Tiere, wollte immer einen Hund. Wir haben sogar ein Tier angeschafft, aber sie hatte Angst vor ihm, da mussten wir ihn wieder wegbringen. Sie ist wie … erstarrt, nur ein Schatten, der durchs Haus geistert. Nicht altersgemäß. Vom Entwicklungsstand wie ein kleines Mädchen, es scheint, als würde sie sich weigern, erwachsen zu werden. Ihr Zustand bricht mir das Herz, vor
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