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Finkenmoor

Finkenmoor

Titel: Finkenmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriane Angelowski
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hast …« Zweiter Gang. »… du hast mich …«
    Dritter Gang, der Motor heulte auf. Kallwitz radelte fast auf der Mitte der Straße. Anna hielt direkt auf ihn zu. Schrie den Text. »Du. Du hast …«
    Vollgas. »Du hast mich …« Draufhalten. Durchziehen.
    »Du hast mich gefragt … Und ich hab nichts gesagt …«
    Timm. Geliebter Junge.
    Anna erfasste Kallwitz von hinten, sein Rad flog unter den Wagen, er wurde in die Luft geschleudert. Sie hörte, wie er auf dem Autodach aufschlug. Beinahe gleichzeitig raste sie frontal in eine Eiche.
    Der Airbag löste nicht aus. Oberkörper und Bauch schlugen mit voller Wucht gegen das Lenkrad. In Sekundenschnelle knallten Annas Knie gegen das Armaturenbrett, das Hüftgelenk brach, sie erlitt eine extreme Schleuderverletzung der Wirbelsäule. Rippenfraktur, Lungen-Milz-Leberriss, die Hauptschlagader wurde durchtrennt. Krachend zersplitterte die Frontscheibe. Stark blutende Schnittwunden übersäten Hände und Gesicht. Durch die enorme Nickbewegung des Kopfes erlitt Anna ein schweres Schädel-Hirntrauma. Blut sickerte aus Mund und Nase. Eingequetscht hing sie zwischen Sitz und Lenkrad, spürte keinen Schmerz.
    Timm, mein süßer Junge. Dein schneeweißer Sarg vermodert in der Erde. Deine wunderschönen Augen von Würmern gefressen, für immer verklungen deine abertausend Fragen. Timm. Diese Wunde heilte die Zeit nicht. Ich bin auf dem Weg zu dir.

Cuxhaven-Duhnen, Christian-Brütt-Weg
    Iska stand den halben Tag in der Küche und bereitete Schmorbraten zu, den sie Anna versprochen hatte. Als die Freundin zur vereinbarten Zeit nicht erschien, hinterließ Iska ihr mehrere Nachrichten auf der Mailbox und wunderte sich, dass Anna weder kam noch zurückrief. Vielleicht war sie doch sauer, immerhin hatte es Iska abgelehnt, sie zu ihrer Selbsthilfegruppe zu begleiten. Mehrmals.
    Aber Iska wurde das Gefühl nicht los, dass es besser war, eine gewisse Distanz zwischen sich und ihrer neuen Bekanntschaft zu wahren.
    Trotzdem fuhr sie am nächsten Tag zu Annas Wohnung in die Marienstraße, klingelte sogar bei den Nachbarn, aber niemand öffnete. Leicht verwundert packte Iska ihre Tasche und machte sich auf den Weg zu ihrer Schwester.
    Phyllis fand Annas Untertauchen gar nicht sonderbar.
    »Vielleicht ist sie verreist.« Sie saßen bei Kaffee und Kuchen. »Du kennst die Frau doch kaum, wer weiß, wie sprunghaft sie ist.«
    Iska erzählte Phyllis von Annas Ansichten in Bezug auf den Mörder ihres Sohnes.
    Zu ihrer Überraschung reagierte Phyllis mit Sympathie. »Ich kann sie gut verstehen. Unser Rechtssystem fordert uns ja geradezu zur Selbstjustiz auf.«
    »Das ist doch nicht dein Ernst!«
    »Doch, absolut! Wenn ich mir vorstelle, dass Dallinger entlassen wird und sein Leben einfach fortsetzt, während Ivo und auch die Kleine …« Phyllis Stimme versagte.
    Iska schob den Kuchenteller von sich. »Den Gedanken kann ich verstehen, natürlich. Aber wo kommen wir hin, wenn jeder selbst über Leben und Tod entscheidet? Ansichten und Gefühle sind so subjektiv. Wir müssen uns auf eine objektive Gerichtsbarkeit einlassen, sonst herrscht Anarchie.«
    Phyllis schien in Gedanken versunken, starrte aus dem Fenster.
    »Es ist Sommer, und ich kann mich nicht darüber freuen«, sagte sie nach einer Weile. »Ivo ist tot, und Maxi wird ihr ganzes Leben mit den Folgen der Tat konfrontiert, weil wir, die Erwachsenen, Fehler gemacht haben.«
    »Aber du hast …«
    »Nein, lass mich ausreden. Ich wünschte, es gäbe die Möglichkeit, es Dallinger heimzuzahlen!« Phyllis sah Iska durchdringend an. »Ich kann deine Anna gut verstehen!«
     
    Das Gespräch mit ihrer Schwester ging Iska nicht aus dem Sinn.
    Wirklich überrascht war sie nicht.
    In gewisser Weise vertrat Phyllis stets radikale Ansichten, ging gern bis zum Äußersten, egal, um welches Thema es sich handelte. Seit Ivos Tod vor fast acht Jahren hatte sie rastlos und wütend gewirkt. Nachvollziehbar. Auch Iska kämpfte mit ihrem Zorn, kannte den Gedanken, es Dallinger heimzahlen zu wollen, aber aus ihrer Sicht führten solche Überlegungen zu nichts.
    Bei Phyllis fielen Rachegedanken offenbar auf fruchtbaren Boden.
    Iska räusperte sich, dachte an Friedrich.
    Sie vermisste ihn immer noch so sehr, besonders samstags. In Gedanken war er bei ihr, wenn sie früh aufstand, den kleinen Terrier in den Garten ließ, Kaffee aufbrühte und die Zeitung hereinholte. Sie sprach mit ihm, wenn sie in dem tiefen Ohrensessel vor der Heizung im Wohnzimmer saß

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