Finkenmoor
allem wenn ich gleichaltrige Jugendliche sehe. Ich bin schuld. Ich habe ihr das angetan.«
Iska war überrascht von der Heftigkeit, mit der Kilians Gefühle hervorbrachen. Dieser Junge schien wirklich an seiner Last zu zerbrechen. »So darfst du nicht denken, du hast doch niemals gewollt, dass deiner Schwester etwas passiert, nicht wahr?«
Kilian weinte hemmungslos. »Mein Vater hasst mich, und er trinkt. Auch dafür bin ich verantwortlich. Ich habe unsere Familie zerstört.«
Iska reichte Kilian ein Papiertaschentuch. Der junge Mann tat ihr unendlich leid. »Brauchst du Hilfe? Hast du jemanden, der dir beisteht?«
»Diane ist für mich da, sie ist großartig.«
»Diane?«
»Sie kümmert sich um Maxi, vor allem seit dem Tod unserer Mutter.«
»Ach ja, Phyllis hat sie mal erwähnt«, sagte Iska.
Kilian blickte auf. »Das ist der Grund, warum ich Ihnen hinterhergelaufen bin. Können Sie mir bitte die Telefonnummer Ihrer Schwester geben?«
Iska stöhnte leise auf. Genau diese Frage hatte sie immer erwartet und gleichzeitig gehofft, dass der Junge sie niemals stellen würde.
Kilian schien ihr Zögern zu bemerken. »Bitte. Ich bin so weit, so viele Jahre sind vergangen, und jetzt möchte ich endlich selbst mit Coach Dieckmanns sprechen.«
Cuxhaven-Holte-Spangen
Kilian half Maxi auf die Rückbank des alten VW-Golf. Sie ließ sich bereitwillig anschnallen, starrte aber an ihm vorbei aus dem Fenster. »Wie war es heute beim Reiten?«
Maxi reagierte nicht.
Kilian schloss die Tür, ging zur Fahrerseite und fuhr langsam los. Es regnete in Strömen, auch deshalb fuhr er achtsam. Unterwegs stellte er seiner Schwester weitere Fragen, machte Scherze und suchte Blickkontakt über den Innenspiegel. Reden Sie mit Ihrer Schwester, täglich, ganz normal. Sie kann Sie hören, ganz sicher.
Aber Maxi blieb in ihre Welt versunken.
Von Gewissensbissen geplagt, verbrachte Kilian die meiste Zeit seines Lebens damit, für sie da zu sein. Zeitlebens würde er für seinen schweren Fehler bezahlen müssen. Wie hatte er sie nur in dieser Tierhandlung zurücklassen können! Seine naive Zuneigung zu Josie hatte Maxis Leben zerstört, das sah er heute ganz klar. Dabei war das, was er damals für Liebe gehalten hatte, längst zerbrochen. Von Josie hatte er ewig nichts gehört, angeblich jobbte sie in irgendeinem Videoshop.
Kilian fuhr die Auffahrt zum Haus seines Vaters hinauf, machte den Motor aus und war Maxi beim Aussteigen behilflich.
An seiner Hand ließ sie sich führen, vorbei an der riesigen grünen Abdeckplane im Garten. Die Arbeiten am Swimmingpool ruhten seit Ewigkeiten. Kein Geld. Kein Interesse an der Fertigstellung. Sein Vater wollte die Grube zuschütten lassen, hatte sogar extra deswegen einen kleinen Bagger ersteigert, um Kosten für die Arbeiter zu sparen. Mehr geschah nicht. Die Ausschachtung im Garten – für Kilian Symbol, Zeichen dafür, dass die Wunden immer noch nicht heilten.
Kilian schloss die Haustür, zog Maxi die Jacke aus, brachte sie zum Sessel und deckte sie zu.
Er hasste sich und sein Leben.
Manchmal dachte er sogar an Selbstmord, stellte sich vor, ins Meer zu gehen. Die Nordsee als Grab. Doch wenn er am Wasser gestanden hatte und die Flut in seine Turnschuhe gelaufen war, hatte er bisher immer wieder einen Rückzieher gemacht. Maxi brauchte ihn, er wollte sie auf keinen Fall ein zweites Mal im Stich lassen.
Nachdem Kilian Spiegeleier gebraten hatte, klopfte er an die Schlafzimmertür seines Vaters. Als er keine Antwort erhielt, betrat er leise den Raum. Schnapsgeruch schlug ihm entgegen, die Rollläden waren heruntergelassen. Kilian hörte seinen Vater schnarchen und verließ das Zimmer.
Wenn Johann jetzt schon wieder betrunken war, konnte er Maxi unmöglich mit ihm allein lassen. Aber Kilian musste heute in den Getränkeladen, sonst verlor er diesen Job auch noch, das hatte ihm sein Chef mehrmals angedroht, und Kilian befürchtete, dass er den Bogen nicht weiter überspannen konnte.
Er musste Diane bitten herzukommen, obwohl sie endlich mal einen wohlverdienten freien Tag hatte.
Sein Handy klingelte. Es war Gregor, ein Arbeitskollege. »Wo bleibst du, Alter? Der Chef tobt.«
»Mein Vater ist … ähm, er ist verhindert und kann sich nicht um Maxi kümmern. Deshalb musste ich Diane anrufen, damit sie herkommt.«
»Ist das die scharfe Braut, von der du erzählt hast? Die Blonde mit den Riesenmöpsen?«
»Nein, ja …«
»Mensch, Alter, leg sie flach. Scheiß auf den Laden hier, schmeiß
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