Finkenmoor
Ronny forschte in ihrem Gesicht nach kleinsten Regungen. Es schien, als wäre die Dreckshure schockgefroren. »Hast du mich gehört?«
Sie nippte am Wein, ruhig, ohne den Blick zu senken. »Ich weiß nicht, was du meinst.«
Provokation erster Güte. Kaltschnäuziges Miststück. Ronny schoss mit seinem Oberkörper über den Tisch, umklammerte ihren Hals und drückte zu. Bambiauge blieb keine Zeit zu schreien. »War überhaupt irgendetwas von dem, was du mir vorgemacht hast, wahr?«
Sie schnappte nach Luft.
»Du bist das Kindermädchen von dieser Maxi! Lüg mich jetzt ja nicht an!«
Sie packte seine Handgelenke, versuchte, ihn abzuwehren.
»Was soll das ganze Theater, hm? Was hast du jetzt vor? Ich bin ganz Ohr!«
Ihre Tränen ließen ihn kalt. Sie versuchte aufzustehen, er hielt sie fest und kam gleichzeitig um den Tisch. »All die Briefe, all die Versprechungen! Alles gelogen, du elende Missgeburt!«
Er riss sie herum, drückte fester zu, bis Emilys Gesicht blau anlief.
***
Musik. Schreie aus dem Anbau.
»Da stimmt was nicht! Phyllis, wo bist du?« Kilian war völlig panisch, schrie in sein Handy.
»Am Feldweg an der Abzweigung Spangenberg …«
»… ich muss Schluss machen. Diane schreit …«
»Nein, warte …«
Kilian schob sein Mobiltelefon in die Hosentasche. Scheiße. Wer weiß, wozu das Schwein in der Lage ist . Er löste sich aus seinem Versteck. In gebückter Haltung schlich er vorwärts, bis er die Wand des Anbaus berühren konnte. Dort richtete er sich auf, presste sich gegen die Fassade, hob vorsichtig den Kopf und spähte durchs Fenster.
Im Radio verlas ein Sprecher jetzt Nachrichten, laut und monoton. Gespültes Geschirr auf der Spüle. Gläser und eine leere Flasche Wein standen im Kerzenlicht auf dem Tisch. Die Flammen flackerten.
Von Diane und Dallinger nichts zu sehen. Keine Stimmen.
Kilian huschte zum Eingang.
Cuxhaven, Haydnstraße
Norma lag auf ihrem Bett.
Sie konnte weder ihre Arme noch die Beine bewegen. Der Grund dafür war ihr schleierhaft, aber sie hatte eine Vermutung. Ihre Mutter machte gemeinsame Sachen mit Claire und den anderen. Das war die einzig logische Erklärung, denn seit ihrem letzten Besuch ging es ihr so beschissen.
Norma wagte es nicht, die Augen zu öffnen. Claire, Brandon, Amy, Kitty, Maxwell und Francis kreisten sie ein, stierten sie an. Schweigend, mit blutunterlaufenen Augen, zum Äußersten bereit.
Stell dich schlafend. Vielleicht verschonen sie dich dann.
Claire gab den Ton an. Norma hörte sie flüstern. Zweifellos war sie die Anführerin. Das schmerzte Norma besonders. Gerade Claire hatte sie so viel Zuneigung geschenkt.
Aber es schien, als könnte sie diesem Kind nichts recht machen. Sie stimmte Dorit zu. Ihre Augen hatten wirklich etwas Verschlagenes. Genau wie Brandons. Auch er agierte hinterlistig und schlau. Neulich hatte er sie beklaut. Die goldene Armbanduhr fehlte in der kleinen Schmuckschatulle. Niemand anderes kam dafür in Frage. Nein, auch nicht der Typ vom China-Lieferservice. Die Uhr hatte hundertprozentig nicht auf der Kommode im Flur gelegen, als sie neulich das Geld für ihn aus der Küche geholt hatte.
Brandon hatte das Erbstück an sich genommen, davon war Norma überzeugt. So viel kriminelle Energie versetzte sie in Erstaunen. Und dann wollte Brandon die Klauerei nicht einmal zugeben, versuchte stattdessen, dem Lieferanten alles in die Schuhe zu schieben. Und als er damit nicht weiterkam, beschuldigte er ausgerechnet Jason. Wie lachhaft. Jason glich einem Engel. Ein Ausnahmekind, ihr absoluter Liebling.
Norma lauschte, ohne die Augen zu öffnen. Wenn sie nur wüsste, was Claire vorhatte.
Sie spürte einen kalten Luftzug. Die Bande näherte sich. Jemand berührte ihren rechten Fuß. Reflexartig schnellte sie hoch. Schrie, schlug um sich. Die Monster stoben davon, entzogen sich ihrem Blick, verbargen sich unter dem Bett und hinter der Gardine. Sie waren flink. Seit Stunden wiederholten sie jetzt schon dieses Spielchen.
Entkräftet ließ Norma sich auf den Rücken fallen. Der Lattenrost knarrte unter ihrem Gewicht. Claire zischte Gemeinheiten. Die anderen stimmten ein, raunten unaussprechliche Frechheiten in ihre Richtung.
Jemand fasste sie grob am Arm. Norma machte sich steif, wagte nicht, sich zu bewegen, hielt die Augen fest geschlossen.
»Du hast Ivo getötet!« Claires Stimme. Der Satz zerschnitt die Stille. Fauliger Atem kroch Norma in die Nase.
Ihr Herz schlug bis zum Hals. Ohrensausen. Flugzeuge jagten
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