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Finkenmoor

Finkenmoor

Titel: Finkenmoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myriane Angelowski
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durch ihr Hirn. Tränen quetschten sich durch die zusammengepressten Lider.
    »Du hast zugelassen, dass Ivo stirbt. Zweimal!«
    Zweimal. Die Zahl donnerte in ihren Ohren. Zweimal.
    Es stimmte. Einmal im Wald, in den Fängen dieses Mörders, und dann auf dem Regal im Flur. Seit seiner Ankunft staubte er dort ein. Sie hatte als Mutter versagt. Zweimal. Das schreckliche Kind sprach die Wahrheit. Es ließ sich nicht leugnen.
    »Zwei!«, schrie Claire. »Zwei«, flüsterte sie. »Zwei. Zwei. Zwei.« Rhythmisch, wie die Salve eines Maschinengewehrs.
    Norma rang nach Luft, hielt sich die Ohren zu, wälzte sich auf dem Federbett.
    »Zweimal. Zweimal.« Claires Stimme schwoll an, unterstützt von den anderen schwoll der Gesang zu einem unharmonischen Chor an.
    Laut, schrill. Erbarmungslos.

Cuxhaven-Holte-Spangen
    Geräuschlos huschte Kilian ins Haus, stand in der winzigen Wohnküche. Horchend drückte er sich neben den schmalen Spind. Er kannte sich aus. Von der Küche gingen zwei Türen ab, die eine zum Bad, hinter der anderen lag das Schlafzimmer. Eine Reisetasche stand vor der Spüle. Über einer Stuhllehne hing Dianes Handtasche.
    Das Radio nervte.
    Kilian widerstand dem Wunsch, es auszuschalten, zog sein Messer aus der Hosentasche, klappte es auf.
    Vorsichtshalber, zu allem entschlossen.
    Im Halbdunkel näherte er sich dem Schlafzimmer. Jeder Muskel seines Körpers zum Zerreißen angespannt. Sämtliche Sinne in Alarmbereitschaft. Im Türrahmen stoppte er. Schemenhaft erkannte er eine Gestalt. Groß, schmaler als gedacht. Dallinger. Das Schwein lag auf dem Boden, die Arme merkwürdig verdreht. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, umfasste Kilian das Klappmesser fester.
    Leises Schluchzen. Kilian fuhr herum. Diane stand weinend auf der Schwelle zum Wohnraum.
    »Was ist passiert?«, flüsterte Kilian und legte das Messer beiseite.
    Sie trocknete sich die Augen mit einem Papiertuch. »Er hat es rausbekommen.«
    »Was?«
    »Alles, dass ihr hier wohnt, dass ich Maxis Kindermädchen bin und auch …«
    Kilian starrte Diane entgeistert an. »Das kann nicht sein. Ich habe alle Namensschilder entfernt, sogar vom Briefkasten und …«
    »Irgendjemand hat gequasselt.«
    »Wer?«
    »Keine Ahnung, heute Nachmittag.«
    »Du solltest ihn nicht aus den Augen lassen, ihn bewachen, bis wir kommen und …«
    »Ich war aber nicht da«, weinte Diane.
    »Wie, du warst nicht da?«
    »Nerv nicht! Ist doch jetzt egal«, verteidigte sie sich. »Er weiß Bescheid.«
    »Hat er das Fentanyl geschluckt?«
    »Ich habe es in Bratensoße aufgelöst. Er hat keinen Verdacht geschöpft. Ich denke nicht … ich meine, er kann ja nicht wissen, was wir vorhaben. Aber er hat mich gewürgt, wollte wissen, warum ich mit ihm spiele. Gott sei Dank hat ihn das Schlafmittel umgehauen. Ihm wurde übel, er taumelte hinter mir her. Ich bin ins Schlafzimmer gelaufen, wollte da aus dem Fenster. Es war schrecklich … Dann ist er plötzlich zusammengesackt.«
    »Mensch, warum hast du mich nicht gerufen?«
    »Das wollte ich ja, aber es ging nicht. Ich habe mich im Bad eingeschlossen und war dann wie gelähmt. Ich hatte solche Angst!«
    Kilian zog eine Rolle Klebeband aus der Hüfttasche seiner Militärhose, kniete neben Dallinger nieder, griff kühn seine Arme und fesselte ihn. Zimperlich ging er nicht vor.
    »Mach das Radio aus! Es macht mich wahnsinnig.«
    Diane sank auf den Boden. »Ich … kann nicht mehr, ich kann unmöglich …«
    »Der Rest wird ein Kinderspiel«, sagte Kilian.
    »Nein, ich steige aus.«
    »Du spinnst! Phyllis und ich schaffen das nicht allein. Du kannst uns doch jetzt nicht im Stich lassen.«
    Diane begann wieder zu weinen.
    Kilian lief in die Küche, schaltete das Radio aus, rannte zurück ins Schlafzimmer, konzentrierte sich auf Dallingers Beine, umwickelte sie in Höhe des Sprunggelenks mit Klebeband und riss ein Stück für den Mund ab.
    »Fertig!«
    Ein Auto näherte sich. Phyllis.
    Kilian ging neben Diane in die Hocke. »Okay, was ist los?«
    Sie bebte. »Ich weiß nicht. Es war alles so …«
    »Schrecklich?«
    Diane wurde von einem Weinkrampf geschüttelt.
    Er legte seinen Arm um sie. »Alles wird gut.«
    Sie stieß ihn weg. »Nichts wird gut! Gar nichts! Er wollte mich umbringen. Wenn er nicht das Fentanyl geschluckt hätte, wer weiß, was er mit mir gemacht hätte.«
    »Er hat es aber geschluckt, und dir ist nichts passiert.«
    »Nichts passiert?« Diane riss den Kragen ihres Pullovers nach unten. Hässliche Würgemale kamen zum

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