Finne dich selbst!
einem egal ist, sondern nur dem, von dem man Dinge wissen möchte, die er nie aussprechen würde. Diese Antwort jetzt war eindeutig: Axel geht es hier in Finnland gut. Phantastisch geradezu!
»Ich zeige euch die Wohnung. Muss gleich zum Sprachkurs.« Axel führt uns hinein. Flur, Wohnzimmer, Küche. Ich bekomme das alte Kinderzimmer von Viivi, unsere Eltern das Elternschlafzimmer. Luxus pur für Reisende mit unserer Portemonnaie-Größe. Schon an Haus- und Wohnungstür bekommen wir die ersten Lektionen zum Anderssein der Finnen. Wichtig: Die meisten Türen schließen verkehrt herum! Das heißt, man schließt zur Türfüllung hin auf statt wie bei uns zu. Und umgekehrt. Auch öffentliche Toiletten funktionieren so. »Unser Ilse« sitzt später dadurch mehrfach fest. Mindestens zweimal rette ich meine Mutter aus Toilettenhäuschen.
Wir lernen noch mehr typisch Finnisches. Auch im Sommer grüßt der Winter, es gibt an den Wohnungstüren meist Doppeltüren. Damit nicht sofort die Wärme austritt. Und vorn im Hausflur zieht man sich die Schuhe aus. Immer. Axel hatte uns gebeten, Schlappen mitzubringen oder dicke Socken. Zumindest in meinem Freundeskreis in Deutschland, egal ob Kassel, Köln oder Dortmund, in den Häusern der Freunde, Bekannten und Verwandten in Minden, ist es immer noch die Ausnahme, dass man gebeten wird, die Schuhe auszuziehen. Hier in Finnland ist das obligatorisch, und es nicht zu tun ist eine grobe Unhöflichkeit. Vor den Häusern stehen, meist auf beiden Seiten des Eingangs, fest und ganzjährig montiert, Bürsten, um Schnee und Matsch abzustreifen. Und die werden auch beinah ganzjährig gebraucht. Die Winter beginnen oft im November und enden nicht vor Mai.
Wir entladen das Auto: die Gitarren, den Verstärker, »dän Korff«, schon sehr geplündert. Der Eimer, der sich Gott sei Dank nicht gefüllt hatte, wird beiseitegeschoben. Die Kiste mit den Gastgeschenken, Koffer, Taschen, Regenschirme (!), eine kleine Hausapotheke mit Kopfschmerztabletten, Pflaster, Sonnenmilch. Hermann hatte entgeistert gefragt: »Für Finnland?« Er sollte sich wundern. Die Kiste Hefeweizen, die Gläser, den Karton mit Wein. Das Dosenbier von der Fähre. Ich gebe Axel den Tray.
»Danke. Du bist ein guter Bruder«, sagt er.
Von hinten ruft Ilse. »Gibst du dem Kind etwa Alkohol?«
Mein Bruder schnappt sich grinsend die Biere und trägt sie nach oben. Dann umarmt er noch mal Vater und Mutter und sagt: »Ich geh zum Sprachkurs, damit ich hier ordentlich für euch übersetzen kann.«
»Ist Finnisch wirklich so schwer?«, fragt Ilse.
»Noch viel schwerer!«
Sohvakalustotarjouksia – Ein Exkurs
Finnisch ist mehr eine Strafe als eine Sprache, und wer anderes behauptet, ist über Schweden noch nicht hinausgekommen. Das Finnische versucht den Fremden zu verwirren. Rein sprachlich fühlt man sich in Finnland wie ein Nordic Walker im Himalaya, heillos überfordert. Ich meine es ernst! Vergessen Sie alles, was Sie bisher gelernt haben. Latein? Französisch? Englisch? Spanisch? Niederländisch? Arabische Dialekte? Das alles nützt hier nichts. Sie können in vielen Ländern einem Gespräch lauschen und bekommen eine Vorstellung dessen, worüber geredet wird. In Finnland nicht. Wenn Geheimdienste eine optimale Geheimsprache benutzen wollten, sie müssten nur auf Finnisch kommunizieren. Sie tun das aber nicht, weil ihnen Finnisch als Geheimsprache einfach zu schwer ist. Sogar ein James Bond würde scheitern.
Will man eine Sprache lernen, beginnt man gerne mit Zahlen. One, two, three. Eins, zwei, drei. Un, deux, trois. Auf Finnisch:
yksi, kaksi, kolme
. Und danach wird es nicht besser! Vielleicht werden Sprachen komplizierter, je weiter nördlich man kommt. Es gibt praktisch nichts, an dem man sich orientieren könnte. Nur noch die Sprache der Inuit, die Kehllaute der arktischen Ureinwohner, ist vielleicht schwerer zu lernen. Aber das ist mehr ein Artikulationsproblem.
Finnisch erschließt sich einem überhaupt nicht! Finnisch ist das Chinesisch Europas. Auch im Schriftbild. Ich stand vor Schaufensterbeschriftungen mit Namen wie
SOHVAKALUSTOTARJOUKSIA
. Das heißt »Couchgarniturangebote«, wie mir Viivi zu Hause übersetzt. Sie fragt mich: »Bernd, wo findest du so etwas?«
Einige Wörter allerdings wurden vom Finnen »eingedeutscht« beziehungsweise »eingefinnischt«, und die geben einem eine gewisse Chance für Entschlüsselungen. Der Finne hängt ihnen einfach ein »i« an, und schon gelten sie als heimisch und
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