Finne dich selbst!
herauf, kein bisschen weniger angetrunken als sie, aber mit dem festen Griff des Zimmermanns rettete er alles Ausgleiten am Treppengeländer. Ich warte schon seit Jahrzehnten auf den Moment, in dem ich endlich meine Kochkünste aus langjährigen Wohngemeinschaftszeiten würde ausspielen können, aus meinen Junggesellenjahren und dem, was man einer Frau heute in Beziehungen kulinarisch mindestens bieten können muss. Der Tag ist gekommen. Der Tag ist heute. Der Moment ist jetzt!
Im Supermarkt begegnet uns im Eingangsbereich gleich ein großer Obststand. Verkauft werden Erdbeeren,
mansikka
, und Erbsen,
herne
. Immer und überall trifft man im Sommer in Finnland auf Erbsen. Ich glaube, es gibt mehr Erbsen als Mücken. Unmengen von Erbsen, die hier in gewaltigen »Hülsenhaufen« auf dem Tisch liegen. Erbsen sind die Chips der Finnen. Sie stehen auf dem Tisch, wenn der Finne vor dem Fernseher sitzt. Die nascht und futtert er nur so weg. Frisch aus der Schote. Wir stehen fasziniert vor dem Verkaufsstand. Für mich, noch mehr aber für Ilse als ehemalige Milchfrau, gibt es eine dicke Überraschung: Hier wird nicht abgewogen. Hier wird verfüllt! Es gibt Ein- und Zwei-Liter-Becher, die jeweils mit Erbsenschoten bzw. mit den Erdbeeren gefüllt werden. Der Finne kauft also Kubikmeter statt Kilogramm.
»Sag mal, haut denn das hin?«, fragt sich Ilse laut.
Wir schauen auf das Preisschild. Ein Liter Erbsen drei Euro, zwei Liter für fünf.
»Datt is over dürr! De köpe wie over nich«, ist Ilses einziger Kommentar. Das ist aber teuer. Die kaufen wir aber nicht.
Daneben
suomalainen mansikka
, finnische Erdbeeren, der Liter vier Euro. Kartoffeln werden in der sogenannten »Kappa« verkauft, einer kleinen Holzkiste, mit fünf Litern Fassungsvermögen, deren Boden und Seitenwangen mit einer Krone gestempelt sind. Damit ist es ein geeichtes Gefäß, und man muss nur bis zum Rand füllen – aber natürlich locken die Händler auch hier mit einer kleinen »Kartoffelkrone« extra. Großzügig ist der Finne also auch noch.
Ilse und ich staunen bloß und haben gar nicht bemerkt, dass wir jetzt dran sind. Die Verkäuferin spricht uns an, wahrscheinlich fragt sie, was wir wollen und wie viel und wovon. Ilse und ich schrecken vor dem Finnisch etwas zurück und schütteln die Köpfe. »No, thank you«, sage ich und erkläre ihr auf Englisch unser Erstaunen über die finnische Maßeinheit. Die Verkäuferin ist ihrerseits erstaunt, dass es bei uns in Deutschland nach Gewicht geht.
Ein Supermarkt ist im Grunde ein bebildertes Vokabelheft. Wir nehmen einen Einkaufswagen, schieben durch die Abteilungen und entdecken Eingefinnischtes. Bei Obst sehen wir
banaani, nektariini
und
klementiini
. Daneben stehen
salaatti
und
maissi
.
Persikka
sind Pfirsiche. Mit großen Augen laufen wir durch die Gänge, zeigen uns gegenseitig die Warenschilder und müssen viel lachen. Ilse sagt: »Gut, dass uns hier keiner kennt!«
Sitruuna?
Klar, die Zitrone. Aber dann ein echter Hammer:
vihreäviinirypäle
– Weintrauben!
Sipuli
sind Zwiebeln,
valkosipuli
ist Knoblauch.
Kirsikkatomaatti
sind natürlich Kirschtomaten. Frühkartoffeln heißen
varhaisperuna
.
Fenkoli
ist Fenchel, Blumenkohl heißt
kukkakaali
, Brokkoli
parsakaali.
Ich kaufe grüne Bohnen,
vihreät pavut
, und
varhaisperuna.
Im Regal rechts finden wir den
kahvi
, den Kaffee. Natürlich begehe ich Fehler. Wir gehen zur Kühltheke. Was ich als roten Heringssalat mitnehme, ist
punajuurisalaatti
, Rote-Bete-Salat.
Perunasalaatti,
Kartoffelsalat, erschließt sich über die Frühkartoffeln. Beim Aufschnitt finden wir
meetvursti
.
Milch heißt
maito
, und die hellblaue ist fettarm, die dunkelblaue ist die normale. »
Laktosfri
« könnte auch schwedisch sein. Genau. Auf Finnisch
laktoositon
. Schwedisch ist hier neben Finnisch die zweite Amtssprache. Das Schwedische
fettfri mjölk
ist auf Finnisch
rasvaton maito. Jogurtti
ist – natürlich – Yoghurt.
»Ich weiß gar nicht, warum der Axel immer so über die Sprache stöhnt«, sagt meine Mutter und packt noch ein Päckchen
kvarkki
in unseren Einkaufswagen.
Am Ende gelingt es mir, unseren Einkauf zu bezahlen, was meine Eltern sonst nie hätten zulassen können. »Datt gierve ick di to huuse wier trügge.« Das gebe ich dir zu Hause wieder zurück.
Und dann: Wunder gibt es immer wieder. Ich werde Küchenchef und koche auch in den nächsten Tagen. Sämtliche Mahlzeiten. Ilse steht nicht einmal am Herd. Etwas Unheimliches passiert, sehr
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