Finne dich selbst!
Kritik. Der spricht ruhig und konzentriert in sein Walkie-Talkie.
Die Springer ziehen sich die Anzüge von den Schultern und lassen sie lässig um die Hüften baumeln. Der Weg den Hügel hinauf ist schweißtreibend, es geht zwar erst ein Stück mit dem Sessellift Richtung Sprungturm, aber das letzte Stück müssen sie zu Fuß die Stufen emporsteigen. Das dauert und lässt uns immer wieder Zeit. Und Kimmo hat Spaß am Erzählen. 20 Frauen und junge Mädchen springen in ganz Finnland, sagt er. Er trainiert die Nationalmannschaft für den Ladies Continental Cup. Für den muss man mindestens 16 Jahre alt sein. Auch Kimmos Tochter Julia ist dabei und wird von ihm trainiert. Sie ist die beste Finnin im Wettbewerb. Kimmo erzählt, sie habe dieses Jahr schon drei Motorräder zerlegt. Ob er keine Angst um seine Tochter habe, fragt Axel. Skispringer seien besondere Menschen. Das besondere Risiko auf der Schanze habe oft auch ein besonderes Leben im Privaten zur Folge. »Du musst es mögen. Du bist alleine, wenn du die Schanze runterkommst. Du musst dir vertrauen. Mach das Beste draus! Du kannst keinen Ball abspielen oder auf ein Zuspiel warten. Es gibt nur dich und die Schanze.«
Wusch. Wieder ein Springer. Kimmo schüttelt erneut unzufrieden den Kopf und gibt Korrekturen.
»Schlimm?«, frage ich.
»Nein, wenn im Training ein schlechter Tag kommt, ist es egal. Es kommt bestimmt auch wieder ein guter. Es liegt viel am Kopf.«
Dann zählt er Erfolge seiner Springer auf, ihre nationalen Siege, ihre internationalen Meisterschaften und Platzierungen. Kimmo erzählt von seiner Trainingsgruppe bei
Lahden Hiihtoseura
. Seine Augen leuchten, wenn er die Namen nennt, man spürt seine Leidenschaft: »Harri Olli, Kalle Keituri, Veli-Matti Lindström. Meine Tochter Julia, mein Sohn Jere, Janne Nordman, Sebastian Klinga, Niko Petjala.«
Wusch! Es ist Harri.
»
Hyvä
!« Gut! Ein guter Sprung in allen Phasen. Kimmo ist zufrieden. Harri Olli sei manchmal perfekt.
Oft kämen Springer zu ihm. »Kannst du mich trainieren?«, fragen sie. Springer, große Talente, die Alkohol- und Drogenproblemen haben, kommen immer wieder aus anderen Landesteilen. Kimmo holt sie zu sich nach Hause. Er sei kein Sozialarbeiter, aber er versuche zu helfen und sie zu trainieren. Wenn ein Sportler sich wieder festige, sei das wichtiger als Medaillen und Olympia. »Wenn so jemand sein Leben zurückbekommt, ist das für mich der größte Preis, den er gewinnen kann. Und ich auch.«
Er lächelt und schaut zur Schanze. »Ich mache mir nicht so viel aus Medaillen.« Das heißt aber nicht, dass er nicht gewinnen wolle. Wusch! »
Hyvä!
«
Wieso macht eigentlich Janne Ahonen Werbung für Nähmaschinen? Was hat der mit Nähen zu tun?
»Das ist doch klar! Weil Janne seinen Sprunganzug selber näht.«
»Das kann er?«
»Das kann eigentlich jeder Springer. Wir kaufen die Anzüge und nähen sie dann individuell um und ab«, erzählt Kimmo. Für seine eigenen Springer übernimmt er das Umnähen. Von einer deutschen Firma bekommt er quasi die »Rohlinge«. Alle Topspringer schneidern ihre Anzüge dann individuell zu.
Und er selber? Wie war das mit Kimmos Karriere?
»Ich wollte immer zu viel und zu schnell. Als Kind schon wollte ich von der großen Schanze springen.« Sein Vater kam, um ihn vom Training abzuholen. Da hatte er sich zur großen Schanze geschlichen. Und ist gesprungen. Und schwer gestürzt. Mit Wucht bei der Landung auf den Rücken gefallen. »Ich fühlte mich, als würde ich sterben. Dann lernst du schnell! Ich war noch zu leicht damals. Mein Vater nahm mich mit nach Hause. Danach habe ich gewartet, bis mir der Trainer den Sprung von der großen Schanze erlaubte.« Kimmo sagt, Finnland habe kein Sportförderprogramm. »Es gibt keine Sportförderkompanien bei der Armee. Anders als in Deutschland. Dadurch wird der Sport für die Athleten sehr teuer.« Kimmo hat drei Kinder, und sie alle sind auch Skispringer geworden. »Das ist viel billiger, wenn du gleich drei hast«, sagt er und lacht.
Axel und ich verabschieden uns, beeindruckt von Kimmo und beeindruckt von den Trainingserlebnissen. Eine verrückte Sportart! Einerseits bin ich Fan, anderseits würde ich im Leben nicht von einer solchen Schanze rauschen wollen. Es gibt für die Menschheit keinen wirklichen Grund für den Skisprung. Außer Übermut. In der Leichtathletik haben fast alle Disziplinen Anlass und Ursache. Der Speerwurf stammt noch aus Zeiten, als man Mammut oder Hirsch und Eber erlegen
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