Finne dich selbst!
musste. Der 100 -Meter-Lauf ist die konsequente Antwort auf den Fluchtreflex, und der Weitsprung kann vor Felsspalten und Gräben hilfreich sein. Skisprung aber ist in jeder Beziehung unnütz.
Wir gehen noch in das Ski-Museum direkt neben der Salpausselkä-Schanze. Dort kann man die Geschichte des finnischen Wintersports verfolgen, von Ski bis Eishockey, Ausrüstung, Sportgeräte, Kleidung, Medaillen. Man kann interaktiv an Simulatoren die Sportarten selber ausführen. Auch Skisprung ist dort möglich. Ich stehe keinen einzigen Sprung. Ich springe zweimal schon auf der Mitte der Anlaufspur ab, um dann wieder auf der Schanze zu landen. Mein Bruder lacht sich scheckig. Und schafft Sprung und Landung. Kein Wunder. Er ist schon ein halber Finne. Ich aber verknackse mir im Museum beim vierten Absprung den Fuß! Ich möchte jeden Ostwestfalen eindringlich vor dieser Sportart warnen – sogar schon vor dem Simulator!
Ich weiß nicht warum, aber ich erzähle unseren Eltern bei der Rückkehr: »Wir haben jetzt mit Skisprung begonnen!«
»Du? Dafür bist du doch viel zu schwer«, analysiert Ilse fachmännisch.
»Aber in dem engen Anzug würdest du mit deinem Bauch sicher ganz gut aussehen«, feixt Hermann.
»Mehr Fläche, mehr Auftrieb!«, versuche ich mich wenigstens rhetorisch weiterzubringen, als es mir virtuell gelang.
»Na ja, runter kommt man jedenfalls immer«, tröstet Hermann.
Satus Tattoos
Wir sind nun fast seit zwei Wochen in Finnland, Hermann, Ilse und ich. Wir fühlen uns zu Hause. Übermorgen beginnt unsere Rückreise. Ein bisschen wehmütig gehen wir mit Axel und Viivi den Weg zum Hafen. Die Finnin und die Deutschen schweigen. Aber dann werden wir aus unserer Melancholie geholt. Wir treffen Satu und Miguel im Hafen, enge Freunde von Axel und Viivi, die lange in Portugal gelebt haben. Satu erzählt, warum sie zurück nach Finnland wollte: »Portugal war so voller Licht, laut und farbenprächtig. Dann habe ich angefangen, meine Schwester zu vermissen. Der Nordwind hat mich zurückgetrieben. Und Miguel ist mitgekommen. Das Leben in Finnland ist gut. Ich liebe die Natur, das Wasser, die Menschen. Finnland ist schön, ruhig und friedlich.« Sie lächelt. »Finnland kann gleichzeitig auch unhöflich und grob sein, aber es ist immer echt und ehrlich.«
Miguel ist Graphiker, Satu ist Tätowiererin, die beiden sind verheiratet. Es ist Sommer, beide sind nur leicht bekleidet. Man sieht ihre zahlreichen Tätowierungen. Das ist hier nicht ungewöhnlich. In Lahti gibt es gefühlt auf je fünf Einwohner einen Tätowier-Laden. Viele Finnen tragen Tattoos, im Grunde fast jeder zwischen 20 und 50 .
»Tätowiererin? Davon kann man leben?«, fragt Hermann.
Satu nickt. Axel erzählt, dass sie mindestens drei Monate im Voraus ausgebucht ist. »Ja, ich bin erfolgreich«, sagt sie und klingt dabei gar nicht angeberisch, sondern absolut geerdet. »Alle Guten haben lange Wartezeiten.«
Satu ist nicht nur in Lahti bekannt. Einmal in der Woche fährt sie in ein Studio in Tampere, um dort zu stechen. Wer sich tätowieren lässt, will oft die Arbeiten eines bestimmten Künstlers.
»Und wie wird man das?«, fragt Ilse.
Im Grunde sei es »learning by doing«, durch die Praxis lernen. Aber die ersten Erfahrungen kann man dadurch sammeln, dass man auf Kuhhaut tätowiert. Oder auf Bananen. »Es gibt für diesen Beruf kein klares Ausbildungsprofil, aber die Ansprüche und das Niveau sind immer weiter gestiegen. Vor allem musst du gut zeichnen können«, sagt sie. Satu hat Zeichnung, Malerei, Graphik und Bildhauerei studiert. »In Finnland ist es normal, tätowiert zu sein. Es ist nicht begrenzt auf irgendeine Gruppe von Menschen. Allerdings ist es für manche Berufsgruppen schwierig. Eine Krankenschwester zum Beispiel nimmt eher Stellen am Körper, wo man das Tattoo nicht sehen kann, oder sie nehmen etwas Feines, Schönes, Kleines, das dann mehr ›innen‹ ist. Wenn ein Arzt den Arm voller Tattoos hat, geht das. Der hat ja immer einen langärmeligen Kittel drüber.« Ilse fragt: »Aber warum macht man das? Versteh ich nicht. Obwohl ich manche ja ganz schön finde.«
»Das Tattoo bringt etwas nach außen, was unter deiner Oberfläche lag, was versteckt war. Es ist sehr intim. Wie ein Selbstporträt. Mit deinen Tattoos erzählst du auch deine Geschichte. Du schreibst damit das Tagebuch deines Lebens. Du enthüllst etwas, stellst es aus. Die Menschen müssen dir nah kommen, um es zu sehen, und normalerweise kommen sich Finnen
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