Finne dich selbst!
unter den Armen. Allein wie er sich unter der heißen Luft bewegt, würde in mancher Kleinstadt schon als moderner Tanz durchgehen. Er erinnert mich in seiner stummen Ernsthaftigkeit an Oliver Hardy. Ich selber fühle mich wie Stan Laurel. Die Band spielt eine Rumba. Quentin, du Sau! Er macht voll die Sache mit dem rechten Oberschenkel. Wo ist eigentlich Tante Hildegard geblieben? Ich schwitze. Die Band stoppt. Die Finnen applaudieren und rufen überraschend auf Englisch »We want more«. Wir wollen mehr. Das bedeutet Zugabe! Manchmal hält sich der Finne also nicht mal selber mit seiner eigenen Sprache auf. Sie spielen jetzt ein langsames Lied, alle Paare schwofen. Das hätte ich auch gekonnt! Stirn an Kopf, Wange an Kinn, Brille in Auge bewegen sie sich nur von einem Bein auf das andere und genießen Nähe und Berührung und Schweiß, denn nicht alle waren vorher am Föhn vor der Herrentoilette.
Irgendwann ist es Viertel nach eins. Wir gehen zum Bus. Die meisten Männer stehen jetzt draußen am Grill und essen
makkara
oder auch
bratwursti
. Wer eine echte Finnin ist, auch. Im Bus komme ich mit Heikki und Eija ins Gespräch. Sie schwärmen vom Samstag, da ist nur zweimal kurz Herrenwahl, ansonsten den ganzen Abend
niesten haku
. Da wird getanzt! Und freitags, sagen sie, ist immer Tanz in Lahti, auf dem Tanzplatz am Wasser, unterhalb vom Hotel in Mukkula.
Am nächsten Tag spaziere ich am Nachmittag genau dorthin, zum
tanssi
in Lahti. Die Tanzfläche ist unmittelbar neben dem See, nur ein Holzgeländer trennt Tänzer und den Vesijärvi. Ich sehe Heikki und Eija wieder. Sie tanzen. Sie sehen mich und winken. Ich winke zurück. Nach dem Tanz kommt Heikki auf mich zu. »Tanzt du?«, fragt sie.
»Sicher!«, sage ich.
»Jetzt?«
»Klar. Äh. Kannst du führen?«
Heikki lacht und zieht mich zu sich. Sie drückt mich an sich und betanzt mich so, als schöbe ich sie über mein rechtes Bein über die Tanzfläche. Bitte, geht doch! Und das ist fast wie der ostwestfälische »Schieber«!
Am Abend stehe ich am Vesijärvi und schreibe eine SMS . An Isabel: »War Tango tanzen mit Heikki.«
»Seit Tagen schreibst du keine Zeile und dann tanzt du mit fremden Frauen Tango! Ich hasse dich!«
Ich antworte nicht. Zehn Minuten später schreibt Isabel erneut: »Von mir aus kannst du gleich dableiben. Werd doch mit deiner Heikki glücklich. Over and out!«
Ich schaue auf das Wasser und finde die Vorstellung gar nicht so abwegig. Schade, dass Heikki heute Abend schon anderweitig verabredet ist.
Unter Königsadlern
Der Winter gehört zu Finnland wie die Reifen zum Auto. In Lahti ist er aber auch im Sommer allgegenwärtig, schon allein durch die Skisprungschanzen. Was bei einigen Spezies die Schwimmhäute sind, das sind beim Finnen die Ski. Der Finne wird schon mit Langlaufskiern an den Füßen geboren, was übrigens besondere Anforderungen an die Mütter stellt. Die Kinder sitzen mit den Langlaufskiern am Tisch, sie liegen damit nachts im Bett, und in der Pubertät versteht es der Finne wie kein Österreicher, sich mit Skiern an den Füßen zu küssen, zu entkleiden und zu entjungfern bzw. sich entjungfern zu lassen. Lediglich mein Bruder war anfangs irritiert, vor dem Sex Langlaufskier anziehen zu müssen.
Fast genauso typisch wie Skilanglauf ist für den Finnen der Skisprung. Eine verrückte Sportart. Man rutscht eine steile Schanze hinunter und fliegt dann durch die Luft, aber ohne Fallschirm oder gepolsterte Landezone. Matten wie beim Hochsprung sucht man hier vergeblich, dabei fliegt man wesentlich weiter und landet sehr viel tiefer. Wahnsinn! Und Sportler wie Janne Ahonen und Matti Nykänen sind Superstars, egal wie skandalnudelig ihr Leben verläuft. Skisprung interessiert und fasziniert sehr viele. Auch zu unserem Mindener Familienleben gehörte im Winter immer die Vier-Schanzen-Tournee. Nun direkt an Schanzen zu stehen ist großartig. Geschichten über Janne zu hören von Menschen, die ihn kennen – und hier kennt ihn jeder, und fast jeder kennt ihn persönlich, denn er lebt ja in Lahti. Ahonen ist ein regelrechtes National-Idol. Seit fast 20 Jahren fliegt er von den Schanzen dieser Welt. Fünfmal hat er die Vier-Schanzen-Tournee gewonnen, er wurde fünfmal Weltmeister und gewann zweimal Silber bei Olympia. Dass in dieser Erfolgsreihe der fehlende Olympiasieg ein Manko sein soll, verstehe ich nicht. Ich bin nicht mal Kreismeister geworden, nicht mal in weit weniger spektakulären Sportarten.
Axel hatte
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