Finne dich selbst!
gesagt: »Ich zeige euch mal Janne.«
Hermann war erstaunt. »Kennst du den?«
»Nee, aber der steht hier rum.«
»Wie? Der steht hier rum?«
Axel führt uns zu einer lebensgroßen Pappfigur. Die steht im Schaufenster der Buchhandlung und wirbt für Ahonens Biographie. Die deutsche Ausgabe war sogar auf der Bestsellerliste. Und die habe ich im Gepäck! »Königsadler – Mein Leben als Skispringer«,
»Kuningaskotka«
im Original. Kostet hier schlappe 35 Euro. Hardcover zwar, aber trotzdem eine Menge Geld. Bücher sind in Finnland ziemlich teuer. Ein seltsames Land: Meine Grundnahrungsmittel, Bücher und Alkohol, gehören hier zu den teuersten Konsumwaren. Bei PISA schneiden die Finnen top ab, aber die Kulturerzeugnisse sind extrem hochpreisig!
Vor einem kleinen Laden mit Nähmaschinen folgt unser nächster Stopp. Im Fenster ein Poster: Janne Ahonen mit einer Pfaff-Nähmaschine. Werbung für Nähmaschinen? Wieso das? Außerdem wirbt Janne für ein Möbelhaus und fläzt sich in Sessel und Sofas, liegt in Betten und sitzt an Tischen. Axel hat uns den Prospekt gezeigt. Ahonen lächelt selten auf diesen Fotos. Er sieht den Betrachter meist aus großen, neugierigen Augen an. Ein Model ist er nicht gerade. Er hockt auf dem Sofa wie wohl sonst auf dem Absprungbalken, als würde er dort nicht lange bleiben wollen. Die Mimik erinnert an Buster Keaton.
Ich diskutiere das mit Viivi. Was soll uns Janne als Werbeträger vermitteln? Ein bisschen Ernst, aber auch Zuverlässigkeit? »Diese Möbel halten mindestens so lange wie Jannes Schanzenrekorde.« Wir glauben, das ist die Botschaft der Werber. Ahonen ist eine Ikone und doch der Junge von nebenan. Der Boris Becker von Lahti. Er ist kein Unschuldslamm, wie er in seiner Autobiographie erzählt. Er lebte in seinem Sport wie in seinem Leben eher extrem, und seinen weitesten Sprung hat er nach durchzechter Nacht gemacht. Leider ist er gestürzt und weigerte sich dann, sich ins Krankenhaus fahren zu lassen, aus Angst vor einer Blutprobe. Nach seinem ersten Rücktritt fuhr er Dragster-Rennen und schnelle Motorräder. Ein harter Kerl. Die Finnen lieben das. Auch für die Frauen ist das eine Qualitätsangabe. Das fast höchste weibliche Lob lautet: »Der ist ein echter Finne!« Dann meinen sie einen echten Kerl, einen Naturburschen. Das heißt: immer etwas verrückt, Helden mit kleinen Macken, aber trotzdem diese liebenswerte Mischung aus Indiana Jones und Forrest Gump.
Es ist Freitag, in zwei Tagen werden wir wieder nach Hause fahren. Axel und ich gehen eine große Runde, unter Brüdern. Wir landen dabei wieder am Sportzentrum Lahti. Hier hat Axel im Rahmen seines ersten Sprachkurses gejobbt, während der Senioren-Olympiade. Wir schlendern zu den Schanzen hinüber. Martin Schmitt und Jens Weißflog haben auf diesen Schanzen schon Wettbewerbe gewonnen, natürlich immer wieder Matti Nykänen, Ole Bremseth, Masahiko Harada, Adam Malysz, Janne Ahonen, Gregor Schlierenzauer und Matti Hautamäki. Ich kenne keine Sportart, in der die Akteure lustigere Namen haben. Und wir ziehen den Hauptgewinn: heute ist Training! Das erste Mal in meinem Leben sehe ich Skispringer live, im Sommer, bei strahlendem Sonnenschein. Schade, dass Hermann nicht mit ist. Wir schauen staunend in den Himmel. Na ja, ich schaue staunend, Axel hat das inzwischen mehrfach erleben dürfen. Wir gehen Richtung Auslauf. Mein Handy brummt. Isabel!
»Was machst du?«
»Skispringen!«
»Du?«
»Ja, was denn sonst?«
»Glaub ich nicht. Schick mir ein Foto!«
»Over and out!«
Axel sieht mich fragend an.
»Isabel.« Ich nicke zur Sprunganlage hinüber. »Sie glaubt nicht, dass ich hier springe.«
»Kluge Frau. Bei der solltest du bleiben.«
Neben uns steht ein Mann und sieht konzentriert zu den Schanzen hoch, in den Händen zwei Walkie-Talkies. Ob er dazugehöre, frage ich vorsichtig. Er nickt. Ob ich ihn stören und was fragen dürfe. Gerne.
»Wie funktioniert das überhaupt, Sommertraining?«
»Wir trainieren auf den beiden kleineren Schanzen. Jede Schanze hat zwei Anlaufspuren für die Ski, auf der höheren, der 97 -Meter-Schanze, ist die Spur aus Keramik, auf der kleineren aus Metall. In ihnen läuft ständig Wasser. Auf dem Wasser gleitet der Springer quasi vom Turm herunter und springt dann auf die Grasmatten in der Landezone und im Auslauf, auch die werden ständig nass gehalten. Sonst würden die Laufflächen der Skier und die Matten verbrennen, aber so gleitet der Kunststoff auf dem feuchten
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