Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Eilenberger
Vom Netzwerk:
einfach nur springen.
    »Ist gar nicht kalt«, ruft meine finnische Frau in den hellen Abendhimmel.
    Sie lügt. Es ist kalt. Saukalt sogar. Ich weiß das. Sie weiß das. Und bei mir, bei mir ist das so: Ich mag kein kaltes Wasser, auch keinen kalten Regen, keine kalte Luft, keinen kalten Wind, keinen Frost und keinen Schnee, eigentlich überhaupt nichts, was kalt ist, sofern es sich nicht in 0,4-Liter-Gläser füllen lässt und dabei selbstständig Schaumkronen bildet.
    Ich mag auch keine Insekten. Nein, das ist viel zu schwach: Ich verabscheue sie! Sie machen mir Angst und sind in gehäufter Anzahl in der Lage, mich an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Alles wird dann eng, die Atmung stockt, ich falle in eine panische Starre und wünsche mir sehnlichst, tot zu sein.
    Es hat mich deswegen nie gewundert, dass jedes Jahr
einige Dutzend Rentiere Lapplands, als einzige bekannte Paarhufer des Planeten, ganz bewusst den Freitod wählen, indem sie ihre Häupter aus vollem Lauf gegen die wenigen Bäume ihrer arktischen Tundra rammen. Ich finde es eher erstaunlich, dass nicht alle es tun - ganz zu schweigen von den Menschen, die dort seit Jahrzehntausenden leben und Samen, saami , heißen.
    Aber jetzt will ich Ihnen einmal ein kleines schmutziges Geheimnis verraten: Die Mücken, hyttynen , sind in Finnland gar nicht das eigentliche Problem. Mit den Mücken ließe sich leben. Zwar übersteigt ihre Anzahl das Maß menschlicher Vorstellungskraft, doch ist jede für sich genommen langsam und leicht auszutricksen. Die kleine Schwellung, die der gemeine finnische Mückenstich hinterlässt, löst sich nach dem zweiten löyly in Wohlgefallen auf. Da bleibt nichts zurück. Ehrlich.
    Gleiches lässt sich von der finnischen Bremse, paarma , allerdings nicht behaupten. Das sind Killer, pfeilschnell, absolut angstfrei und unersättlich. Die fliegen einem direkt ins Ohr, in die Nase oder in den Mund, da kennen die gar nichts, und ihr meist wiederholter Biss führt zu flächigen, wochenlang juckenden Schwellungen, woran kein Schwitzbad der Welt etwas ändern könnte.
    Noch weitaus misslichere Konsequenzen aber vermag die sogenannte Elchfliege, hirvikärpänen , zu verursachen - ein kleiner schwarzer Flugparasit, der sich flohgleich in der Körperbehaarung festsetzt und von dort, einmal eingenistet, allenfalls mit einer übermäßigen Portion des berühmten tervashampoo zu vertreiben ist,
was allerdings, ich erwähnte es bereits, beim Saunagang gewisse Nebenwirkungen hervorruft.
    Und dabei habe ich bisher nur von den Top 3 unter der schwer zu überschauenden Vielfalt finnischer Stechinsekten gesprochen, die sich gegen Abend schwarmweise an Stegen und Lichtungen sammeln, um dort, neben dem selten gesehenen Elch, insbesondere auf den badenden Nichtfinnen zu lauern.
     
    Frage: Wurde Ihnen schon einmal - möglicherweise sogar in einem Finnlandprospekt - eine ironisch-schaurige Geschichte über die finnische Mückenplage zugetragen? Eben. Und wurde im Verlauf dieser Erzählungen die Bremse oder Elchfliege auch nur einziges Mal erwähnt?
    Sehen Sie, so läuft das. Die Finnen sprechen nur deshalb so offen und unverblümt über ihre Sommermücken, um damit von den Bremsen und Elchfliegen abzulenken. Das Ganze ist ein sorgsam orchestrierter Verdeckungsdiskurs. Letztlich geht es um Tourismus, also um wirtschaftliche Interessen. Kein Finne wird das je zugeben. Was beweist, dass es absolut wahr ist. Denn die Finnen, das gilt es zu begreifen, sonst brauchen wir hier gar nicht weiterzumachen, die halten zusammen: Jedes Wort ist kühl kalkuliert, ihr Schweigen vor allem ein Verschweigen.
     
    Sauna hinter mir, kalter See vor mir und eine dreistellige Anzahl diverser höchst aggressiver Fluginsekten auf mir und um mich herum, das ist also die Situation, in der ich mich jeden zweiten Sommerabend aufs Neue wiederfinde.
Es geht nicht um Mitleid. Vielmehr versuche ich, Sie für die Frage zu sensibilisieren, was in einem Fall wie dem meinen eigentlich für Finnland spricht. Ich meine, wir reden hier von hundertneunzigtausend Waldseen - alle immer kalt! -, von acht Monaten unter null, von einer Landesfläche, die zu 25% nördlich des Polarkreises liegt, von einem Meerbusen, der Eisbrecher benötigt, um befahrbar zu bleiben, und von sommerlichen Fluginsekten, deren Biomasse das Gesamtgewicht von fünf Millionen mehrheitlich übergewichtigen Finnen um ein Vielfaches übersteigt.
    Und alles, was in meinem Fall den Ausgleich schaffen soll, ist der blasse Leib, der

Weitere Kostenlose Bücher