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Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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lief noch eine Weile in der Nähe des Kunstwerks umher, aber nirgendwo war ein Mann zu sehen, der Ezrael ähnelte. Sie kehrte zu der Führerin zurück. »Hat irgend jemandheute besonderes Interesse für die ›Anbetung der Jeanne d’Arc‹ gezeigt?«
    »Sie erhält immer sehr viel Beachtung«, sagte die Führerin und lächelte stolz. »Aber kurz bevor Sie kamen, hat ein charmanter junger Mann eine ganze Weile vor ihr gestanden und so detaillierte Fragen zu dem Gemälde gestellt, daß auch ich sie nicht beantworten konnte. Er sagte, das Engelthema wäre sein Spezialgebiet.«
    Ulrike griff nach Lasses Ärmel und zog den Mann zur Treppe. »Ezrael kann nicht weit weg sein, nach seinem Plan fährt er mit der U-Bahn zu Dexters Wohnung.«
    Auf dem Fußweg rannte Ulrike los, faltete in vollem Lauf die Karte der Metrolinien auseinander, die sie im Hotel gekauft hatte, und nahm Kurs auf die Station, die den Namen des Smithsonian trug und sich an der Independence Avenue, Ecke 12th Street, befand.
    Sie schlängelten sich im Laufschritt auf dem breiten, von Bäumen gesäumten Fußweg durch den Menschenstrom. Nur ein paar Jungs im Hiphop-Outfit kamen mit ihren Rollern schneller voran. Die beiden mußten sich mit ihrem Tempo zurückhalten, denn sie durften nicht zu sehr auffallen, möglicherweise suchte die Polizei sie schon. Jemand drückte so heftig auf die Hupe seines Autos, daß Ulrike zusammenfuhr. Der Gestank der Abgase kratzte im Hals.
    Der Buchstabe M auf einer Säule verriet schon von weitem, wo sich der Eingang zur U-Bahn befand. Sie fuhren zwei Stationen mit der Orange Line und stiegen dann auf dem futuristisch wirkenden Bahnhof Metro Center in die rote Linie um. Ulrike zählte die Haltestellen auf dem Streckenplan an der Wand des Wagens: Bethesda war die achte Station. Ihre Armbanduhr zeigte 12.37 Uhr an, die Zeit wurde knapp, aber vielleicht würden sie Ezrael in der Nähe der Metrostation von Bethesda oder der Wohnung Dexters antreffen. Oder irgendwo anders.
    Ulrike versuchte dem Blick des ihr gegenübersitzenden selbstbewußten Latinomannes auszuweichen, der sie zum Flirt herausforderte. Sie bereute ihre Entscheidungen der letzten Tage schon so sehr, daß ihr der Kopf glühte. Was geschah, wenn sie ihren Befehl zum Töten zurücknahm, Ezrael aber nicht gehorchte? Sie hatte ihn Dexter auf den Hals gehetzt, ohne Garantien dafür, daß sie imstande war, den Mord zu verhindern. Woran, zum Teufel, hatte sie in den letzten Tagen eigentlich gedacht? An ihre glänzende Zukunft als Weltverbesserer oder an ihren Wunsch, um jeden Preis ein Held zu werden? Beim Kaffeeklatsch konnte sie das Gute natürlich vom Bösen unterscheiden, aber wenn es darauf ankam …
    Jetzt war es zu spät für jede Reue, jetzt mußte gehandelt werden, beschloß Ulrike, als die Metro in Bethesda anhielt. Mut bedeutete, daß nur man selbst von seiner Angst wußte.

52
    Das Taxi überquerte den Potomac, fuhr an den gewaltigen Gebäuden auf dem Capitol-Hügel vorbei und raste die Pennsylvania Avenue entlang in Richtung Weißes Haus, bis es schließlich vor dem beigefarbenen siebenstöckigen Gebäude anhielt, das den Namen J. Edgar Hoovers trug. Das Hauptquartier des FBI sah aus wie eine Kreuzung von Bürogebäude und Bunker. Ratamo bezahlte das Taxi, umkurvte auf dem Weg zum Haupteingang die Blumenkästen aus Beton und mußte sich einer Sicherheitskontrolle unterziehen. Dann begleitete ihn ein junger Mann im dunklen Anzug durch die labyrinthischen Gänge zum Zimmer von Jeff Hanes. Das sah so aus, als wäre die Putzfrau gerade dagewesen, obwohl überall Papierstapel und Mappen herumlagen.
    Der großgewachsene Yankee saß an seinem massiven Schreibtisch, las Zeitung und schien auch nicht sehr besorgt zu sein, als Ratamo noch einmal berichtete, daß Nordman und Berger verschwunden waren. »Kurz vor deinem Anruf wollte ich gerade meine Männer losschicken, um Nordman wegen Calvert Cliffs zum Verhör zu holen. Was glauben die denn, wohin sie fliehen können?« fragte Hanes, und seine dunkle Stirn legte sich in Falten.
    »Du bist ja wohl derjenige, der das wissen müßte«, entgegnete Ratamo verärgert. »Ulrike Berger sollte euch doch helfen, wenn O’Donnell gefaßt wird. Hat es einen Anschlag auf dieses Kernkraftwerk gegeben?«
    »Die Spezialeinheiten der Armee, die Calvert Cliffs schützen, haben die Situation bereinigt«, antwortete Hanes überraschend gelassen. Dann verfinsterte sich sein Gesicht, und der Kaugummi wurde noch heftiger bearbeitet. »Wir

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