Finnisches Quartett
eine Bombe entschärft, rennt – dann folge ihm.
53
Ezrael ließ den Glasschneider kreisen und zog das am Saugnapf hängende runde Glasstück mit einem vorsichtigen Ruck aus der Scheibe der Wintergartentür heraus. Es war exakt ein Uhr. Der warme Sonnenschein und die Symphonie der Vögel erschienen ihm unwirklich. Jetzt mußte er noch einen Abstecher in den Keller machen, dann war alles bereit. Er betrat den Wintergarten im Haus des Verräters, aber das Rot des Schlachtblutes erschien nicht in seinen Augen, nicht einmal das Orange der Flammen, die zum Rot führten. Wegen der Veränderung war alles anders als früher, diese Rache roch nach Heuchelei. Er erinnerte sich schon an zu vieles aus dem Leben Eamons, auch daran, daß Eamon nicht einmal gekämpft hatte, als sein Finger zerschmettert wurde. Nun hatte sich die Bestie zu früh beruhigt.
Er ging durch den Wintergarten und öffnete die Tür zum Wohnzimmer vorsichtig mit seiner vierfingrigen Hand. Alle sechs Wachmänner hatten vor kurzem das Haus des Verräters verlassen, aber er konnte nicht sicher sein, ob der Verräter allein war. Ezrael vergewisserte sich im Erdgeschoß und in der ersten Etage, daß sich sonst niemand im Haus befand. Dann besiegelte er seinen Plan im Keller.
John Dexter klopfte mit den Fingern auf den Schreibtisch, fuhr sich durch seine lockeren grauen Haare und hielt den Hörer des Telefons schon zum sechstenmal innerhalb einer Minute ans Ohr und hörte wieder nur ein ohrenbetäubendes Heulen. Auch mit dem Handy kam er nicht ins Netz. Die Angst wurde zur Panik. Eine Alternative nach der anderen entfiel, bis nur noch die schlimmste übrigblieb und ihn anstarrte: Robert Wolferman; mit Hilfe von Amanda Moreno konnte der seine Telefone durch den Nachrichtendienstder Armee zum Schweigen bringen lassen. Und Wolferman konnte auch dafür sorgen, daß die FBI-Männer abgezogen wurden. Aber er begriff nicht, warum Wolferman das tun sollte, auch der stellvertretende Verteidigungsminister war doch wohl nicht so tollkühn, daß er ihn umbringen ließ. All das mußte irgendwie mit Calvert Cliffs und Eamon O’Donnell zusammenhängen.
Der Fernseher im Bücherregal von Dexters Arbeitszimmer zeigte auf allen Kanälen Nachrichten von Calvert Cliffs. Der Terroranschlag war genauso ausgegangen, wie es Dexter schon im voraus von Matt Kendall gehört hatte. Aber niemand verfügte über Beweise gegen Wolferman. Was zum Teufel sollte er tun? Er konnte auch nicht hier sitzen bleiben und warten. Sollte er hinausstürzen und eine gewöhnliche Polizeistreife suchen? Dexter stand auf, und im selben Augenblick erschien Eamon O’Donnell mit bedrohlich ausdruckslosem Gesicht an der Tür.
»Und der Engel Ezrael bringt die Seelen der Getöteten herbei; und sie sehen die Qual derer, die sie getötet haben, und sie sagen untereinander:
›Gerechtigkeit und Recht ist das Gericht Gottes.‹« Ezrael versuchte die Bestie freizulassen, aber sie tobte nicht mehr in ihm. Die Veränderung war schon zu weit fortgeschritten.
Dexter sank auf den Stuhl, schaute seinen Scharfrichter an und erinnerte sich an die Informationen über die von O’Donnell begangenen Morde. Die Bilder, die ihn nun lähmten, liefen vor ihm ab: der in seinem Wagen verbrennende Italiener, der langsam ertrinkende Franzose, der zwischen Autos zerquetschte Deutsche, die vom Schwert Verstümmelten … Plötzlich bemerkte er, daß die Hände des Killers wie gewaltige Krallen aussahen, er kniff die Augen zusammen: Der Verrückte hielt in beiden Fäusten Messer mit gebogener Klinge.
Die Haustür klappte. Schritte näherten sich. Dexter betete,daß sich O’Donnell noch ein paar Sekunden nicht von der Stelle rührte. Er würde also doch gerettet werden …
Ulrike Berger sah Ezrael und blieb an der Tür stehen, um nach Luft zu schnappen. Sie wagte es erst, sich dem Mann zu nähern, als sie gesehen hatte, daß die Bestie nicht freigelassen war, zumindest nicht so wie vor dem WTC. »Ezrael. Dein Bote ist extra hierhergekommen, um dir einen neuen Befehl zu erteilen«, sagte sie ganz ruhig.
Ezrael wandte sich um und starrte den Engel der Offenbarung an. Seine Hände zitterten leicht. Dann blitzte das Metall der Messer auf, und er trat vor den Verräter hin.
»Dies ist die Zeit der Rache des HERRN, der ein Vergelter ist …«,
sagte er, aber in seiner Stimme lag nicht dasselbe prophetische Feuer wie gewöhnlich vor der Rache. Die Bestie erwachte nicht.
Man hörte, wie eine Pistole entsichert wurde, Ulrike drückte
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