Finnisches Requiem
einem Staat landen, der die Todesstrafe anwandte.
»Jussi, versuche dich zu entspannen. Leere deinen Geist«, flüsterte Marketta, als der Meditationsteil begann. Ketonen versuchte erst gar nicht, in tiefes Meditieren zu versinken. Warum hatte er sich von Marketta zum Besuch dieses Vortrags überreden lassen, den die Yoga-Vereinigung von Helsinki organisierte? Das war ihm immer noch nicht klar, schließlich hatte er von Anfang an betont, daß er nie auch nur an einer einzigen Yoga-Veranstaltung teilnehmen würde. Seine Glaubwürdigkeit als Chef der SUPO nähme Schaden, wenn er irgendwo im Trainingsanzug herumhüpfte. Schon der Gedanke, was geschehen würde, wenn jetzt jemand ein Foto von ihm schoß, trieb ihm den Angstschweiß auf die Stirn. Er sah die Schlagzeilen bereits vor sich. Seit der Bildung der Koordinierungsgruppe wichen ihm die Journalisten nicht von den Fersen und lauerten ihm auf wie die Verkäufer von Ferienwohnungen. Wenn es nun einem übereifrigen Journalisten doch gelungen war, ihm bis ins Olympiastadion zu folgen?
Er müßte jetzt in der Ratakatu sein und nicht hier. Riitta Kuurma hatte heute herausgefunden, daß Akseli Saarnivaara wahrscheinlich an den Morden beteiligt war, und er saß wie irgendein Teenager mit seiner Freundin in einem Yoga-Vortrag. Das war peinlich. Natürlich konnte Wrede die Suche nach Saarnivaara organisieren und die anderen Polizeibehörden über den Mann informieren, in seiner Arbeit war derSchotte außerordentlich kompetent. Trotzdem hatte Ketonen das Gefühl, daß er das Vertrauen seiner Mitarbeiter enttäuschte, weil er nicht selbst in der Ratakatu war.
Er lebte schon vollkommen im hektischen Rhythmus der Ermittlungen. Diesmal dauerte es ungewöhnlich lange, bis sich ein Bild vom Hintergrund der Ereignisse ergab. Dennoch schien allmählich klar zu sein, daß die Spuren nach Budapest führten. Jemand versuchte mit Informationen, die er der Kommission zuspielte, die Situation in Ungarn schwarzzumalen, die Täter des Anschlags im Atheneum waren als Mitarbeiter einer ungarischen Zeitung aufgetreten, und Peter Seppälä, der von den Morden an den Kommissaren wußte, arbeitete in Budapest und war auch dort ermordet worden. Die Antworten auf die wichtigsten Fragen lagen jedoch im dunkeln: Warum wurden die Kommissare ermordet, und welche Rolle spielten Seppälä und Saarnivaara bei den Ereignissen?
Plötzlich endete das Gemurmel um ihn herum, und die Rednerin dankte den Zuhörern. Ketonen sprang als erster auf und nahm die Bambusmatte unter den Arm.
Marketta schlug einen kurzen Besuch in der Cafeteria des Foyers vor, und Ketonen willigte sofort ein. Dort wüßte niemand mehr mit Sicherheit, in welcher Veranstaltung sie gewesen waren.
Ketonen holte sich einen Kaffee und einen Pfannkuchen und für Marketta einen Juice. Das Kaffeegebäck wurde schon weggeräumt, in einer Viertelstunde, um sechs, schloß die Cafeteria.
Am Nachbartisch hörte man das schrille Piepen eines Telefons und sofort danach ein zweites. Ketonen wunderte sich einmal mehr, warum in den Zeitungen behauptet wurde, die Beliebtheit der Handys beweise, daß die Finnen heutzutage mehr redeten als früher. Seiner Meinung nach bewiesen die Millionen SMS genau das Gegenteil, die Finnen redeten immer noch nicht.
Marketta betrachtete den Chef der Sicherheitspolizei, der seinen Kaffee schlürfte. »Deine Gedanken sind anscheinend ganz woanders«, sagte sie freundlich.
»Entschuldige. Du weißt ja, mit was für einer schlimmen Geschichte wir beschäftigt sind.« Ketonen hatte das Gefühl, daß er eine Freundin, die so unvoreingenommen und offen war wie Marketta, nicht verdiente. Was sah sie bloß in ihm? Was war Markettas Motiv, zu ihm Kontakt zu halten? Er erstickte diese Gedanken sofort, es war höchste Zeit, wieder zu lernen, wie man in der Welt der Zivilisten lebte. Nach dem Tod von Hilkka war er zu einem Zyniker der übelsten Sorte geworden. Bei der Arbeit mußte man von jedem Menschen das Schlimmste annehmen, und Freizeit war nichts für ihn. Als Rentner brauchte man aber andere nicht mehr berufsmäßig zu verdächtigen.
Marketta lächelte. »Ich habe ja vorgeschlagen, daß wir unser Treffen verschieben.«
Das letzte Stück vom Pfannkuchen verschwand in Ketonens Mund. »Vielleicht ist es am besten, wir treffen uns das nächste Mal erst dann, wenn sich die Situation beruhigt hat«, murmelte er.
Marketta nickte, fragte, wie es seinem Rücken ginge, und betrachtete ihren Freund. Jussi war ein Typ, der
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