Finnisches Requiem
schützte. Aus der Bauchspeicheldrüse von Schlachtvieh gewann man seinerzeit Insulin für die Diabetiker. Alle Gegenstände auf dem Bücherregal waren Geschenke von Pastor. Hier wischte sie jeden Tag Staub.
An der Wohnungstür war ein Geräusch zu hören. Die Morgenzeitung. Immer noch besser als der Shoppingkanal. Sie stand langsam auf, trat auf den herunterhängenden Gürtel ihres Bademantels und wäre beinahe gestolpert. Plötzlich hörte sie Schritte. Jemand war im Flur. Oder bildete sie sich das bloß ein? Nur Mut, schnell in den Flur und das Licht einschalten! befahl sie sich.
Eine Gestalt bewegte sich. Hannele schrie, bis ihre Lungen leer waren, und sah einen bärtigen, kleinen Mann, der auf sie zustürzte. Der Mann preßte ihr die Hand auf den Mund. In ihrem Kopf explodierte die Angst. Sie biß zu.
Der Bärtige schrie vor Schmerz, als sich ihre Zähne in seine Hand gruben. Hannele riß sich los und rannte zur Küche. Als sie die Schwelle erreichte, packte der größere Mann sie am Bademantel. Sie streckte die Hand aus, bekam einen Kochtopf zu fassen und schlug mit aller Kraft zu. Der Topf traf den Mann am Kopf und dröhnte dumpf wie ein Gong. Im selben Augenblick fiel der Bärtige über sie her.
Hannele versuchte sich loszureißen, sie zog und zerrte und kreischte, bis der Mann sie im Würgegriff hatte und dieandere Hand auf ihren Mund preßte. Er drehte sie von seinem größeren Gefährten weg, der schon mit der Faust zum Schlag ausholte.
»Beruhige dich. Wir dürfen an der Frau keine Spuren hinterlassen«, sagte der Bärtige in einer Sprache, die Hannele nicht verstand.
Das Bartschwein schleppte Hannele, die strampelte und sich sträubte, zum Sessel. Die Männer wagten nicht, ein Betäubungsmittel zu verwenden: Im Blut des Objekts durfte sich nichts finden, was auf die Anwendung von Gewalt schließen ließ. Der Bärtige registrierte im Vorübergehen die Kuhskulptur auf dem Fernseher, dann die Gemälde mit Kuhmotiven, die Fotos von Kühen und die anderen Schmuckgegenstände.
Der lange Kerl durchwühlte die Regale und Schubladen in der Wohnung. Der Medikamentenschrank fand sich in der Küche. Er war besser ausgestattet als eine kleine Apotheke. Der Mann las die Namen der Medikamente abwechselnd von einer Liste, die er aus der Tasche geholt hatte, und von den Dosen und Schachteln ab. Er brummte zufrieden, als er die richtige Dose entdeckte. »Sparine. Das enthält Promazin. Und es gehört zu den Psychopharmaka.«
Als nächstes suchte der großgewachsene Mann nach Alkohol. Er stieß in den Küchenschränken auf Dutzende Gefäße zum Thema Kuh, bevor er eine halbvolle Flasche Jack Daniel’s Whisky und eine ungeöffnete Flasche Fernet-Branca entdeckte. Der Magenbitter durfte im Abwaschschrank bleiben. Sie hatten Alkohol bei sich, verwendeten aber lieber Schnaps, den sie bei ihrem Opfer fanden.
Der große Mann schüttete ein Dutzend Pillen auf seinen Handteller, zerdrückte sie und nickte seinem Gefährten zu, der die Hand von Taskinens Mund nahm.
Trotz ihrer Angst und Panik begriff Hannele, daß sie sterben würde. Sie mußte irgend etwas unternehmen. »Was …wollt ihr? Wollt ihr wissen … wie ich von Peter … Seppälä erfahren habe?« stammelte sie in englisch. Ihr Herz hämmerte so, daß sie gezwungen war, tief Luft zu holen. Sie mußte überleben. Niemand anders würde Irmeli die vierte Stadt nennen. Niemand anders würde Pastor helfen.
Doch der große Mann stopfte ihr die Pillen in den Mund, und sein Kumpan schob die Öffnung der Whisky-Flasche hinterher. Der lange Kerl drückte ihre Kiefer eng zusammen, die Frau war gezwungen, deziliterweise Schnaps zu schlucken. Sie mußten das Tempo drosseln, als Whisky auf den Kragen des Bademantels floß. Von allein würde die Frau wohl kaum so gierig trinken. Nichts durfte darauf hinweisen, daß man sie gezwungen hatte.
Wärme breitete sich in Hanneles Körper aus, ihr Bewußtsein trübte sich. Durch die Augenlider schimmerte Licht. Hannele versank immer tiefer. Wenn die Männer zulassen würden, daß sie sich erbrach, könnte sie es noch überstehen. Sie wollte nicht sterben.
Die Männer warteten geduldig darauf, daß die Drogen wirkten. Der Tod sähe wie ein Unfall oder Selbstmord aus. Niemand würde erfahren, daß Taskinens Tod mit den Morden an den Kommissaren zusammenhing.
Ihre Augenlider schlossen sich. Der bärtige Mann nahm vorsichtig seine Hand vom Mund der Frau. Die blonden Haare umrahmten das schöne Gesicht. Die Frau sah aus wie ein
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