Finnisches Requiem
liebsten laut gejubelt. Es konnte also sehr gut sein, daß sich Saarnivaara oder einer seiner Komplizen im »Imperial« befand.
Stangerup war von Ratamos genialer Entdeckung nicht überzeugt. Sie hatte nicht die Absicht, nur deswegen ins »Imperial« zu fahren, weil irgendein schwedischer Hotelgast im »Nebo« zufällig auf der Homepage des Hotels gewesen war. Die beiden Ermittler starrten sich an. Ratamo hatte ein merkwürdiges Gefühl: Sie waren in keiner Frage der gleichen Meinung, aber in ihren Blicken flackerte ein Flirt. Das lenkte ab, er konnte sich nicht richtig auf die Arbeit konzentrieren.
Anders als Stangerup interessierte sich die Studentin für den Bewohner von Zimmer 119. »Was hat Larstam getan? Der Mann macht so einen sympathischen Eindruck. Er hat irgendwo ein Sahnekännchen gekauft, das aussieht wie eine Kuh. Als er den Paß in seiner Tasche suchte, hat er es hierhin gestellt.«
Hannele Taskinens Sammlung schoß Ratamo durch den Kopf. Jetzt war er absolut sicher. Er erzählte Stangerup von Taskinens Kühen, aber die Frau ließ sich immer noch nicht umstimmen.
Ratamo hatte genug von der Quengelei seiner Aufpasserin und teilte ihr mit, er werde allein ins »Imperial« gehen. Jetzt kam Leben in Stangerup, die Blondine sagte, sie müsse Else Rørbye anrufen.
Ratamo verstand nicht viel von dem Gespräch, aber immerhin wurde ihm eines klar: Stangerup glaubte nicht, daß sie im Hotel Imperial irgend etwas finden würden. Ohne jede Vorwarnung packte ihn die Lust auf Kautabak. Auch der letzte Priem war aufgebraucht, er mußte neuen kaufen, so bald wie möglich. Leider hatte er nicht mehr daran gedacht, wie quälend das Verlangen nach Kautabak sein konnte.
Stangerup beendete das Gespräch und wirkte enttäuscht. Zu Ratamos Überraschung teilte Else Rørbye seine Meinung: Es war notwendig, dem Hotel Imperial einen Besuch abzustatten. Alles ist möglich, dachte Ratamo, nur eins nicht: mit Skiern durch eine Drehtür zu fahren.
49
Pastor ging ruhig und gelassen über den Nytorv, in der Ferne sah man schon den Rathausplatz. Seinen Entschluß hatte er gefaßt. Das Schicksal vieler Menschen war entschieden. Erfühlte sich privilegiert. Nur wenigen Menschen war es vergönnt, die höchste Stufe des Seins zu erreichen, also ihrem Leben einen wahren Sinn zu geben. Er verstand seine Aufgabe vollkommen und war bereit, alles zu opfern, um sie zu erfüllen.
Am Haus Nummer zwei blieb er stehen und las die Gedenktafel an der Wand: »In dem Haus, das sich bis 1908 an dieser Stelle befand, wohnte Søren Kierkegaard vom 5. Mai 1813, dem Tag seiner Geburt, bis zum 27. April 1848.« Nach Auffassung des dänischen Philosophen war der Glaube die höchste Leidenschaft des Menschen. Pastor wußte, daß es die Rache war. Doch der Däne hatte auch Kluges geschrieben. Ein Risiko einzugehen bedeute, für eine Zeitlang den Boden unter den Füßen zu verlieren. Kein Risiko einzugehen bedeute, das Leben zu verlieren. Manches wußte er noch, obwohl er es schon vor Jahren aufgegeben hatte, Antworten bei den Philosophen zu suchen. Das war etwas für Leute, die keine eigenen Gedanken hatten.
Je mehr er über das bevorstehende Treffen mit Attila Horvát nachdachte, um so überzeugter war er, nicht einmal annähernd zu wissen, worum es bei den Morden an den Kommissaren wirklich ging. Sogar Zoran Jugović, den er noch gestern für den Vater der ganzen Operation gehalten hatte, wurde herumgereicht wie ein Staffelstab. Eines wußte er jedoch: Für den Tod von Drina und Hannele waren mehrere Menschen verantwortlich. Es würde sich zeigen, ob es neben Attila Horvát, Zoran Jugović und Jakob Reimer noch andere Schuldige gab. Wußte Jakob Reimers Auftraggeber, was der Schweizer Jurist alles getan hatte? Vielleicht würde sich bei dem Treffen mit Attila Horvát alles klären.
Pastor war bei Ljubo und dem Exekutionskommando gewesen. Er hatte Ljubo erzählt, daß er Drinas Wunsch achten wollte und deshalb nicht an der vierten Hinrichtung teilnehmen würde. Ljubo nahm die Nachricht gelassen auf, erwirkte fast erleichtert und erklärte sich bereit, Pastor bei seinen Vorbereitungen für das Treffen mit Horvát zu helfen. Die erwiesen sich als schwierig und dauerten einige Stunden.
Natürlich war Pastor enttäuscht, daß er nicht am letzten Mord teilnehmen durfte. Doch es fiel ihm leicht, sich zu entscheiden, wessen Tod er lieber mit eigenen Augen sehen wollte, den des unbekannten Kommissars oder den des Mörders von Drina und Hannele. Und in
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