Finnisches Requiem
in die dritte Etage. Der Mann in der Jeansjacke sprang aus dem Auto, noch bevor es richtig zum Halten gekommen war. Horvát stürzte ihm hinterher. Eine junge Frau, die eine Papiertüte des Warenhauses schleppte, blieb wie erstarrt vor ihrem Volvo stehen und schaute den rennenden Männern hinterher.
Eine Frau in der Uniform des Warenhauses hielt die Tür auf, die zum Treppenflur und zu den Aufzügen führte, bis die Männer hineingerannt waren. Dann öffnete sie mit einem Schlüssel die Tür zum Aufzug, und die drei fuhren hinunter in das zweite Kellergeschoß. Die Frau roch nachirgendeiner Frucht; Horvát kam nicht darauf, welche es war.
Die Tür des Aufzugs öffnete sich zu einem riesigen Lagerraum. Gabelstapler brummten laut, es stank nach Abgasen, die Luft war stickig, obgleich ein unüberhörbares Surren verriet, daß eine starke Lüftungsanlage lief. Lagerarbeiter eilten hin und her, schauten auf die endlosen Regalreihen und trugen etwas in ihre Unterlagen ein. Jemand warf kurz einen neugierigen Blick auf die Ankömmlinge. Die drei hasteten im Laufschritt durch die Be- und Entladehalle, vorbei an den Containerpaletten, bis sie den Hinterausgang erreichten. Horvát schnaufte, er war kein Laufbursche.
Ein pfefferminzgrüner Volkswagentransporter hielt genau am Ausgang. Die Männer stiegen ein, und der Fahrer knallte die Tür zu. Niemand war imstande gewesen, ihnen zu folgen.
Horvát hatte nicht die geringste Ahnung, in welche Richtung sie fuhren. Er wußte nicht genau, ob das gut oder schlecht war.
48
Ein attraktives Bild für die Touristenwerbung wäre vom Missionshotellet Nebo nur mit einem manipulierten Foto möglich. Die Einrichtung des Motels, die aus den sechziger Jahren stammte, wirkte auf Ratamo wie eine Halluzination: Die orangefarbene Auslegware und die asymmetrischen Tapetenmuster vermischten sich zu einer Farblawine, die auf ihn zurollte. Vom Hauptbahnhof direkt neben dem Motel hörte man die Geräusche der Züge. Die etwa zwanzigjährige Frau in der kleinen Rezeption des »Nebo« war ganz aufgeregt, weil sie von einem ausländischen Polizisten und einer PET-Ermittlerin besucht wurde. Es war zehn Uhr. Die junge Frau erzählte etwas auf dänisch und warf ab und zu einen Blick auf Ratamos blauen Fleck.
Else Rørbye hatte der Beteiligung Ratamos an einem Einsatz nur widerwillig zugestimmt, nachdem er ihr die Grüße der Koordinierungskommission übermittelt hatte. Sicher trug auch das Verschwinden von Zoran Jugović und Attila Horvát zu ihrer Entscheidung bei. Jetzt mußten schon drei Personen gesucht werden. Die Polizei sah es als sicher an, daß sich auch Akseli Saarnivaara in Kopenhagen versteckte. Rørbye brauchte jeden Polizisten, der halbwegs laufen konnte. Sicherheitshalber beorderte sie einen Aufpasser an Ratamos Seite. Lotte Stangerup war bestimmt die jüngste Ermittlerin des PET. Und die schönste. Merkwürdigerweise wirkte Stangerup nicht so diensteifrig wie die meisten Anfänger.
Ratamo versuchte vergeblich zu verstehen, was die junge Rezeptionistin Stangerup erzählte. Sie hatte am Morgen die Polizei über einen ausländischen Hotelgast informiert, der sich verdächtig verhielt. Laut Paß war Sven Larstam gebürtiger Schwede, der Mann sprach jedoch ihrer Meinung nach ein eigenartiges Schwedisch. Die junge Frau vermutete, daß es sich um einen finnischen Dialekt handele, sie studierte an der Universität im südschwedischen Lund, fünfzig Kilometer von Kopenhagen entfernt, und kannte einige Finnen und ihre Art, schwedisch zu sprechen. Außerdem war in Larstams Zimmer ein paarmal ein großgewachsener, kahlköpfiger Mann gewesen, der jeden Kontakt mit ihr mied. Im Zimmer hatte auch jemand randaliert, die Badtür war beschädigt und die Hutablage aus der Wand gerissen. Die Studentin an der Rezeption hatte ihre Beobachtungen gemeldet, wie es die Polizei in ihren Anweisungen an die Hotels verlangte. Derzeit fand mehr als ein Dutzend ähnlicher Routineüberprüfungen statt.
Jetzt suchte die junge Frau den Ersatzschlüssel für Zimmer 119. Larstam hatte seinen Schlüssel nicht an der Rezeption abgegeben, als er das Hotel verließ. Die junge Frauplapperte pausenlos auf dänisch; Ratamo verstand nur hin und wieder ein Wort. In dem engen Flur kamen und gingen vielerlei Hotelgäste. Junge Araber waren stark vertreten, ebenso amerikanische Studenten. Ratamo fand das in der heutigen Welt eine seltsame Kombination.
Er prüfte, ob seine Ausrüstung, die er vom PET erhalten hatte, fest am Gürtel
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