Finnisches Requiem
Slotsholmen. Bald würde irgend etwas passieren.
Rørbye schien Herr der Lage zu sein. Sie berichtete mit der ernsten Miene eines Schuldirektors über die Ermittlungen und versuchte zu erklären, wie es Jugović und Horvát gelungen war unterzutauchen. Ratamo vermutete, daß die älteren Herren auf den Ehrenplätzen die oberste Führung der dänischen Polizei repräsentierten. Im Beratungsraum saßen etwa dreißig Personen. Alle sprachen englisch, also vermutete Ratamo, daß auch noch andere Ausländer anwesend waren. Er wunderte sich, warum vor so vielen Leuten über höchst vertrauliche Informationen gesprochen wurde. Wer sollte den Schuldigen aufspüren, wenn es hier eine undichte Stelle gab? In der SUPO wußte nur Ketonen alles, die anderen erfuhren so viel wie nötig.
Die Fahndung nach Attila Horvát und Zoran Jugović habe erst einige wenige ernst zu nehmende Anhaltspunkte gebracht, berichtete Rørbye. Dagegen seien zu Akseli Saarnivaara schon Dutzende glaubhafte Hinweise eingegangen. Kopenhagen sei heute ein außergewöhnlich sicherer Ort für einen Staatsbesuch. Der Kommissionspräsident sei ins Schloß Christiansborg auf der Insel Slotsholmen gefahren worden. Er wolle seine Treffen nicht verschieben, man dürfe nicht endlos lange vor dem Terrorismus zu Kreuze kriechen.
Für die Sicherheitskontrolle am Schloß Christiansborg waren zwanzig Polizisten, Bombenspürhunde und modernste Technologie der Polizei und der Armee im Einsatz. Das Schloß war garantiert sicher. Der Kommissionspräsident durfte die Räume des Schlosses nicht verlassen, und alleBrücken, die zur Insel Slotsholmen führten, waren gesperrt. Die Insel war vom Rest Kopenhagens vollkommen abgeschnitten. Kein einziger ungebetener Gast käme auch nur in die Nähe des Konferenzbereiches, dafür übernahm Rørbye die Garantie. Um ihre Vorgesetzten zu beruhigen, erwähnte sie auch, daß alle Einsatzkommandos von Aktionsstyrke in Bereitschaft standen.
Rørbyes Blick traf auf Ratamo, der mit der Hand ums Wort bat, sie runzelte kaum erkennbar die Stirn und sah, daß auch eine andere Hand durch die Luft ruderte: »Tamás Demeter vom NBH hat etwas zu sagen.«
Ratamo hatte den ungarischen Smilingboy noch gar nicht bemerkt, er saß hinter ihm an der Wand. Seine Haare standen in vertrauter Weise ab, und der Kordanzug schien derselbe zu sein wie in Budapest.
Es stellte sich heraus, daß Carol Simmons vom FBI einen Hinweis erhalten hatte. »Drina, alias Peter Seppälä, soll im August mehrfach mit einem Kopenhagener Grundstücksmakler namens Hans Bojesen gesprochen haben. Simmons überprüft diesen Hinweis gerade«, sagte Demeter und vergaß zum Schluß nicht, zu erwähnen, daß dies natürlich mit Else Rørbye abgesprochen sei.
Was sollte das denn für eine Neuigkeit sein? Und warum hatte man ihm nichts davon erzählt? Ratamo konnte nicht mehr darauf warten, daß Rørbye ihm das Wort erteilte, er hatte etwas Wichtiges zu sagen. »Ich habe von der Koordinierungsgruppe in Helsinki die Information erhalten, daß der größte Kunde von ›Krešatik‹ in den USA ein Unternehmen namens Long Island Import and Export ist. Die Aktienmehrheit an dieser Firma hält die für ihre Verbindungen zu Kriminellen bekannte Transatlantic Group. Die wiederum besitzt Dutzende Hotels, eins davon ist das Hotel Grand Marina genau im Zentrum von Kopenhagen. Der Transatlantic Group gehört auch …«
»Ja und?« unterbrach ihn Rørbye.
»Vielleicht wohnen die Leute von ›Krešatik‹ im Grand Marina. Oder zumindest einer von ihnen«, erwiderte Ratamo irritiert.
Aber Rørbye ließ ihn abblitzen: »Der Hinweis ist ziemlich dürftig.«
Ratamo riß der Geduldsfaden. »Dürftig! Und die telefonischen Hinweise sind es nicht, oder wie? Bisher haben wir nichts anderes.«
Demeter sprang ihm bei: »Attila Horvát ist für die Amerika-Geschäfte von ›Krešatik‹ verantwortlich. Es kann gut sein, daß er in einem Hotel seiner Geschäftspartner wohnt.« Der Ungar fand, daß es sich lohnen würde, Ratamos Hinweis zu überprüfen.
Ratamo war überrascht. Wieso unterstützte Demeter ihn? Plötzlich fragte er sich, warum Carol Simmons die Spur zu dem Grundstücksmakler allein untersuchte. Der alte Verdacht wurde wieder stärker. Demeter war doch nicht etwa hier, um »Krešatik« zu schützen? Sollte er Simmons etwas angetan haben?
Rørbye hatte keine Lust, sich mit Ratamo zu streiten. Sie befahl dem Finnen, zusammen mit Lotte Stangerup ins Hotel Grand Marina zu gehen.
Die beiden
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