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Finnisches Requiem

Finnisches Requiem

Titel: Finnisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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der letzte Kommentar, den Ratamo in jener Nacht hörte.

6
    Die brünette junge Frau drehte ihren nackten Körper im Rhythmus eines uralten Diskohits von Bonney M. Der Pussycat-Club, die beliebteste Pornohöhle in der Váci utca, der teuersten Geschäftsstraße Budapests, würde in einer Stunde öffnen. Auf der Breitwand hinter der Tanzbühne lief noch kein Pornofilm, aber die Spiegelkugeln glitzerten schon. Die vierte Stripperin an diesem Vormittag war genauso schön und unbegabt wie alle ihre Vorgängerinnen. Drina zündete sich eine Zigarette an, eine »Drina«. Seinen Namen hatte er während des Krieges in Bosnien erhalten, er rauchte immer noch drei Schachteln am Tag.
    Die Lüftung im Restaurant funktionierte nur von Zeit zu Zeit. Man spürte deutlich einen stechenden Geruch, eine Mischung von Zigarettenrauch, Parfüm, Schnaps und künstlichem Nebel. An beiden Seitenwänden des Saals befand sich ein rund zwanzig Meter langer Tresen, vor dem etwa zehn Bartische und Dutzende Barhocker standen. Der Direktor des Nachtclubs saß in der vordersten Reihe des Zuschauerraums, Drina und Zoran Jugović hingegen fühlten sich imgedämpften Licht in der Mitte des Saales wohler. Etwa hundert leere und staubige rote Plüschstühle warteten auf die Gäste.
    Drina suchte unter den Probetänzerinnen Mädchen, die ihm Gesellschaft leisteten, Jugović dagegen half gern bei der Auswahl der Stripperinnen im »Pussycat«. Drinas Körper war zwar durchtrainiert wie der eines Trabhengstes, aber auf sein Äußeres und seinen finnischen Charme konnte er sich nicht mehr verlassen. Bei einem schweren Angriff der kroatischen Armee in Westslawonien im Mai 1995 hatte ihm ein Granatsplitter das rechte Ohr abgerissen und die linke Hand verstümmelt. Mit den Stripperinnen brauchte er sich nicht zu unterhalten. Die Mädchen investierten in ihr Aussehen, nicht in die Intelligenz: Die meisten ihrer Kunden waren grob und primitiv, aber nicht blind.
    »Die wird verkauft!« rief Jugović ihm lachend auf serbisch zu und versuchte das dröhnende Stampfen der Musik zu übertönen.
    Jugović verspottete die Tänzerin, starrte aber trotzdem gierig auf den Körper, der sich um die Metallstange wand. Drina bemerkte, daß die Nasenflügel des Serben beim Einatmen bebten. Er wunderte sich immer noch, daß der Charmeur, der ein schwarzes Polohemd und ein Sakko mit Fischgrätenmuster trug und aussah wie ein männliches Model, mit den Frauen in einem Pornoclub flirtete. Sein gewelltes dunkles Haar wirkte voll und locker: Er fönte es zu einer Frisur. Jugović war vierzig, sechs Jahre älter als er, sah aber nicht einmal aus wie dreißig. Es war ein Wunder, daß die Erfahrungen der Kriegsjahre keine Spuren in seinem Gesicht hinterlassen hatten. Drina fand, daß man den Serben wegen seiner makellosen Gesichtszüge mit ein wenig Make-up für eine Frau halten könnte.
    Das erste Mal verheimlichte Jugović ihm etwas, und das bedrückte Drina. Er vertraute dem Serben seit ihrer erstenBegegnung. Anfang 1992 hatten sie sich in einem Belgrader Nachtclub kennengelernt, kurz nachdem sich Drina für die serbische Armee anwerben ließ, die damals intensiv aufrüstete. Er hatte seine Brieftasche verloren, und einer der Soldaten von Jugović fand sie auf der Tanzfläche. Rücksichtslos hatte Drina den Mann, den er für einen Dieb hielt, krankenhausreif geschlagen, und das vor den Augen Dutzender serbischer Soldaten.
    Die Tollkühnheit des Betrunkenen hatte Jugović beeindruckt. Er bewahrte Drina vor einer Tracht Prügel, überprüfte seine Vergangenheit und empfahl ihn Arkan. Der Kommandeur der legendärsten paramilitärischen Truppe in Serbien gab Drina eine Chance. Der 2. April 1992 war tief in Drinas Gedächtnis eingeätzt: Er hatte seine Feuertaufe in den ersten Tagen des Bosnien-Krieges in Bijeljina ehrenvoll bestanden.
    Die Tänzerin versuchte einen Spagat, fiel aber auf ihr Hinterteil. Jugović schnalzte mit der Zunge wie ein Droschkenkutscher, schüttelte den Kopf und befahl Drina, das nächste Mädchen auf die Bühne zu bitten. Immer wenn es möglich war, sprachen die beiden Männer serbisch.
    Drina gab dem Diskjockey ein Zeichen. Die Musik brach ab.
»Köszönöm!«
rief er der Tänzerin auf ungarisch zu, weil er nicht wußte, welche Sprache das Mädchen verstand. Die meisten der Tänzerinnen in den zwölf Nachtclubs von »Krešatik« kamen aus den ehemaligen Ostblockländern.
    »It’s raining men …«
Eine tiefe Frauenstimme ertönte aus den Lautsprechern, und die

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