Finnisches Requiem
einverleiben.
Mit einem vollen Magen, so hoffte Ratamo, hätte Timo vielleicht keine Lust, weiter zu saufen und zu randalieren. Er packte Wurst, Brot, Käse, Schinken und den Rest vom Makkaroniauflauf, den er am Freitag gekocht hatte, auf den Bauerntisch in der Küche und ermunterte Himoaalto zuzugreifen.Zur Überraschung aller hatte Ratamo im letzten Frühjahr Spaß am Kochen gefunden. Allerdings mußte er zu seinem Ärger eingestehen, daß dies Wredes Verdienst war: Der Schotte hatte ihm nachgewiesen, daß Kochen ganz einfach ist, wenn man es locker angeht. Die Mengenangaben in Deziliter, Gramm und Eßlöffel durfte man nicht zu genau nehmen. Das war aber auch alles, was er an Gutem über Wrede zu sagen hatte.
Himoaaltos Geplapper rauschte an Ratamos Ohren vorbei. Er zählte Riittas Einweckgläser mit Kräutern. Es waren siebzehn. Riitta baute immer noch Küchenkräuter an, obwohl sie heute längst in jedem Supermarkt verkauft wurden. Auf sämtlichen Fensterbrettern der Wohnung standen Töpfe mit Basilikum, Oregano und allem möglichen anderen Grünzeug.
»Pub-ertät. Überleg mal, wie gut der Name für eine Kneipe paßt. Und dann die Toiletten dort. In den WC-Becken haben sie unterhalb der Wassergrenze eine Euromünze angeleimt, und am Rand steht: ›Der Gierige hat ein beschissenes Ende.‹ Und über den Pissoirs sind in Kopfhöhe Polster angebracht. Das ist die beste Kneipe …« Timo quasselte unablässig, sein Blick war leer wie bei allen Betrunkenen. »Sauf dir deine Sorgen weg, das ist des Lebens wahrer Zweck. Wollen wir nicht deine Sardinensauna anheizen?« murmelte er.
Himoaaltos Geschwätz war für Ratamo bedrückend. Wenn die SUPO im Februar bei den Ermittlungen im Fall »Inferno« erfolgreich gewesen wäre, hätte man Timo vielleicht nicht gefeuert, und er wäre nicht so tief gesunken. Jetzt trieb er sich in Teenagerrestaurants herum. Ratamo zerteilte die Grillwurst und schnitt sich dabei in den Finger.
»Arto Ratamo, geschickt wie ein fingerloser Pianist«, sagte Timo und lachte schallend.
Ratamo klebte ein Pflaster auf seinen Daumen; die Wundewar nicht tief. Himoaalto hing schon den vierten Monat an der Flasche. Seija würde sich die Späße ihres Mannes nicht mehr lange mit ansehen. Die arme Frau mußte sich allein um drei Kinder kümmern. Und sie erwartete das vierte. Irgend jemand mußte Timo zur Vernunft bringen, bevor es zu spät war. Ratamo fand diese Aufgabe nicht gerade verlockend: Er behielt seine Privatangelegenheiten lieber für sich und erwartete das auch von anderen. Oder müßte er in diesem Fall eine Ausnahme machen? Als er seine Frau verlor, hatten ihm Timo und auch Seija sehr geholfen.
Gierig verschlang Himoaalto die Wurstbrote, er lobte Ratamos Makkaroniauflauf und erzählte mit peinlicher Offenheit, was er im Verlaufe des Abends alles gemacht und gedacht hatte. Wie üblich drehte es sich meistens um Frauen. »Kennst du die ›Pille danach‹ für Männer?« fragte Himoaalto und hatte nicht im geringsten die Absicht, auf eine Antwort zu warten. »Sie verändert die Blutgruppe und die DNA.«
Der Hausherr war ungeheuer erleichtert, als dem ungebetenen Gast allmählich die Augen zufielen, nachdem er sich den Bauch vollgeschlagen hatte. Ratamo zog seinen ausgebleichten Bademantel an, kehrte die Spiegelscherben im Flur zusammen und bestellte ein Taxi.
Als sie draußen auf die Taxe warteten, stützte er seinen schwankenden Freund. Die nächtliche Kühle drang ihm durch Mark und Bein. Ratamo war sicher, daß er kein Auge mehr zutun würde. Gleich wachten die anderen auf. Riitta stand aus irgendeinem Grund jeden Morgen um sechs auf und schaltete als erstes das Radio ein. Ratamo überlegte schon, ob er sich Ohrstöpsel kaufen sollte.
Er gab dem Taxifahrer zwei Zwanzig-Euro-Scheine für den Fall, daß Himoaalto einschlief, und sagte ihm die Adresse in Espoo. Der Zeitungsausträger schaute Ratamo in seinem alten Bademantel an und grinste.
Riitta wartete im Flur. »Zum Glück ist Nelli bei mir wieder eingeschlafen. Wir haben morgen den wichtigsten Arbeitstag unserer Karriere. Warum hast du Timo nicht endlich mal gleich an der Tür wieder weggeschickt«, zischte sie.
Ratamo sah weder ihren drohenden Gesichtsausdruck noch ihre Haltung, die verriet, daß sie eine Antwort erwartete. Sein Blick war auf ihre Brüste geheftet, die sich deutlich unter dem Stoff abzeichneten. Er beugte sich vor und küßte die linke Brust zärtlich.
Riitta lachte heiser. »Du träumst wohl, Alter.« Das war
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