Finnisches Requiem
nächste Tänzerin glitt auf die Bühne.
Drina zündete sich eine neue Zigarette an. Er war seinem Freund Jugović von Belgrad nach Budapest gefolgt und in den Dienst der kriminellen Organisation »Krešatik« getreten, weil Jugović versprochen hatte, ihn reich zu machen. Der Serbe hatte Wort gehalten.
Der Job bei »Krešatik« paßte Drina wie maßgeschneidert. Nach Budapester Maßstäben galt »Krešatik« als mittelgroße kriminelle Gruppierung, deren Stärke in ihrer Spezialisierung lag. Die anderen Organisationen rafften auf alle möglichen Arten Geld zusammen, »Krešatik« hingegen konzentrierte sich auf drei Gebiete: Mädchenhandel, Handel mit Erdölprodukten und Auftragsmorde. Für das Geschäft mit den Frauen war der Ungar Attila Horvát verantwortlich, für das Geschäft mit dem Öl Valeri Zelentsov als Vertreter der ukrainischen Mafia und für die Auftragsmorde Jugović. Durch die Verbindung zur ukrainischen Mafia profitierte »Krešatik« von der Macht einer großen Organisation. Attila Horvát brachte die Budapester Ortskenntnis ein und Jugović die im Krieg geknüpften Kontakte der serbischen Mafia. Drina organisierte die von Jugović angeordneten Morde und führte sie auch oft aus, er war ein reiner Befehlsempfänger.
Drina schreckte aus seinen Gedanken auf, das Handy klingelte. In dem ohrenbetäubenden Diskolärm war es allerdings kaum zu hören. Er drückte die Zigarette aus und holte das Telefon aus der Brusttasche seiner Bomberjacke. Der Anruf kam von Pastor. Drina sprang so ungestüm auf, daß sein Pferdeschwanz auf die Seite rutschte, auf der das Ohr fehlte, er schaute zu Jugović, zuckte entschuldigend die Achseln und entfernte sich ein paar Schritte von seinem Chef.
»Ich bin in anderthalb Stunden zu Hause. Ruf dann an«, zischte Drina auf finnisch.
»Nun sei mal nicht paranoid«, konnte Pastor noch sagen, dann drückte Drina auf die Taste mit dem roten Hörer. Kein anderes Mitglied des Exekutionskommandos hatte jemals gegen die Vorschriften verstoßen und ihn auf seinem Handy angerufen. Drina fürchtete, einen Fehler begangen zu haben, als er Pastor für die Operation »Kommissare« engagierthatte. Aber die gemeinsamen Jahre stellten eine Verpflichtung dar. Als Jungen waren sie ein unzertrennliches Paar gewesen.
Ungewollt tauchten die schlimmen Erinnerungen an seine Kindheit in Karjalohja wieder auf. Wegen seines serbischen Vaters war er den Kindern und Teenagern die ganze Zeit ein Dorn im Auge gewesen. In den siebziger Jahren konnte man den Unterschied zwischen dem dunkelhaarigen orthodoxen Jungen und den anderen Einwohnern des kleinen finnischen Ortes so deutlich erkennen wie ein großes Loch in der Bootswand. Er hatte sich nie als Finne gefühlt. Dafür sorgten schon die Beschimpfungen als Zigeuner und die Klassenkeile. Der Vater hatte bereits Anfang der achtziger Jahre genug von der Engstirnigkeit der Finnen und von seiner Frau und kehrte nach Belgrad zurück.
Der einzige, der Drina damals akzeptiert hatte, war Pastor. Für die beiden Jungen, die von den anderen abgelehnt wurden, gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie fanden einander, oder sie blieben allein. Der fünf Jahre ältere Pastor hatte ihn beschützt. Er schuldete seinem Freund also sehr viel.
Drina folgte seinem Vater, sobald sich die Gelegenheit ergab. Als der Krieg Anfang 1992 auf Bosnien übergriff, beschloß er, seine Fallschirmjägerausbildung zu nutzen, und zog in den Krieg auf dem Balkan. In Finnland hätte er während der schlimmsten Krisenjahre ohnehin nur dazu getaugt, stempeln zu gehen: Er hatte keine Lust gehabt, eine weiterführende Schule zu besuchen, und sein Arbeitsplatz war mit dem Konkurs von Pastors Unternehmen verschwunden.
Die Musik legte eine Pause ein, und Drina bemerkte, daß Jugović nach ihm Ausschau hielt. Es rauschte in seinem Ohr. Er brauchte einen Augenblick Ruhe, um nachdenken zu können. Am Tresen bestellte er sich ein Bier. Die Bardamesah verbraucht aus. Vermutlich war sie eine der wenigen Tänzerinnen, die überhaupt das mittlere Alter erreichten.
Das kühle Bier und die Zigarette schmeckten ihm. Doch wenn er an Pastor dachte, verdarb ihm das sofort die Laune. Der Mann war im Sommer ohne Vorwarnung in Budapest aufgetaucht und hatte wochenlang bei ihm zu Hause gehockt. Immer wieder erzählte er von seinen Gläubigern, redete sich dabei in Rage und schäumte fast über vor heiligem Haß.
Drina hatte nicht die Absicht gehabt, seinen Freund in das Exekutionskommando aufzunehmen,
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