Finnisches Roulette
kurz: »Ich bitte um Entschuldigung. Der Versuchung konnte ich nicht widerstehen.« Sie legte das Feuerzeug auf den glänzenden Tisch, ging zu Sabine Halberstam und reichte ihr das Testament. Die Frauen lächelten sich an wie alte Freundinnen, obwohl sie nur miteinander telefoniert hatten.
Nun verstand Ratamo überhaupt nichts mehr. Was zum Teufel tat Laura da? Würden Oberst Agron und Dan Goldstein doch gewinnen?
Die Versammlungsteilnehmer warteten auf eine Erklärung. Die gab ihnen Sabine Halberstam. »Laura will Annas Eigentum nicht, sie möchte ein normales Leben. Und ein Kind. Genefab wird ihr und Tausenden anderen bald helfen können. Laura erhält natürlich eine Sonderbehandlung, weil …«
Ratamo konnte nicht mehr länger schweigend zusehen. Laura übergab Oberst Agron und Dan Goldstein freiwillig die Schlüssel zur Vernichtung. »Gib ihr das Testament nicht. Behalte es wenigstens so lange, bis …«
Laura öffnete den Mund, um zu antworten, aber Sabine kam ihr zuvor. »Laura hat ihre Entscheidung getroffen. All das hier hat sie genauso satt wie die derzeitigen Methoden zur Behandlung der Kinderlosigkeit. Sie wählt lieber die Möglichkeit, die ihr Genefab bietet, die Alternative zu endlosen schmerzhaften Tests, täglichen Hormonspritzen, Wechseljahresymptomen, Gefühlswallungen, Bluttests, Ultraschalluntersuchungen, Nadelstichen in die Eierstöcke …«
Ratamo schaute auf das Testament in Sabine Halberstams Händen und konnte nicht glauben, was er sah. Dann erinnerte er sich an das Gespräch mit Laura in dem Veroneser Restaurant – war er also mitschuldig an ihrer Entscheidung? Laura blickte durch die Panoramafenster ins Leere, und es schien so, als wäre nun der ganze Druck von ihr gewichen.
Oberst Agron versuchte seine Gedanken zu ordnen. Innerhalb weniger Minuten hatte man ihn erst zerschmettert, dann gerettet. Jetzt sah es so aus, als würde er doch gewinnen. Auch Ehud wirkte zufrieden.
Anna Halberstams Anwalt verglich die Silbentrennungen und die Unterschriften des Testaments, das er von Sabine erhalten hatte, mit einer Kopie des Originaltestaments. »Das ist Anna Halberstams Testament, da gibt es keinen Zweifel.«
Sabine Halberstam seufzte erleichtert, dann lächelte sie befreit: »Gut. Jetzt kann ich die Polizistin hereinbitten.«
52
Sami Rossi legte sich mit dem Portier des Hotels »Hessischer Hof« an. Der Mann in seiner repräsentativen Uniform erklärte dem hartnäckigen Finnen höflich bereits zum dritten Mal, daß niemand im Hotel wußte, wo sich Laura Rossi aufhielt. Die Gäste im Foyer schauten zu ihnen hinüber, als Rossi mit der Faust auf den Tresen der Rezeption schlug und dem entgeisterten Portier abwechselnd die Entlassung und eine Tracht Prügel androhte. Anscheinend kapierte hier niemand, daß seine Frau möglicherweise in Gefahr war.
Schließlich gab der Mann mit der Gipshand und dem Dreitagebart auf, er durfte sich in dem Luxushotel nicht zu großspurig aufführen. Wenn er hier randalierte, könnte er schnell in der Zelle auf dem Polizeirevier landen. Rossi setzte sich auf das weiche Sofa im Foyer und überlegte. Wie sollte er Laura bloß finden? Warum mußte das Telefongespräch gerade in dem Augenblick abbrechen, als er fragen wollte, wo sie sich befand? Nun antwortete sie nicht mehr auf seine Anrufe. Er hatte Angst um Laura.
Jetzt mußte er in Ruhe nachdenken. Gab es in so einem Hotel ein Pub? Rossi drehte eine Runde durch das Foyer und entdeckte das Schild von Jimmy’s Bar. Das kleine Lokal war laut Werbung eine amerikanische Bar, die massiven roten Lederstühle und Sofas erinnerten seiner Ansicht nach aber eher an England. Er ließ sich in dem gähnend leeren Restaurant auf einen Barhocker fallen, legte seine Gipshand auf den Tresen und bestellte in fehlerlosem Deutsch einen Wodka-Cola. Der Kellner schien zu überlegen, ob er die Polizei rufen sollte.
»Mit Eis?«
»Nein danke, aber Appetit auf ein Steak hätte ich.« Rossi betrachtete ein Foto an der Wand, auf dem ein Jäger neben einem Hirsch mit prächtigem Geweih posierte, den er erlegt hatte. Der Kellner beschrieb ihm, wo sich das Speiserestaurant befand, und griff nach der Wodkaflasche.
Seit dem merkwürdigen Anruf gestern in Verona hatte Rossi Angst um Laura. Der Mann am Telefon wollte von ihm wissen, ob er bereit wäre, die Aktien von H & S Pharma zu verkaufen, wenn sie in seinen Besitz gelangten. Den Preis dürfte er selbst bestimmen. Rossi hatte schnell erwidert, zu dem Preis würde er alles verkaufen.
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