Finnisches Roulette
einige Jahre als Ermittler arbeitete. Die lautstarke Klimaanlage verschlimmerte seine Kopfschmerzen.
»Darüber steht nichts in den Jahresberichten der Firma.« Saara Lukkari überflog ihre Unterlagen. »Du weißt wohl viel über die Bio- und Gentechnologie?« erkundigte sie sich neugierig.
»Die Biotechnologie erforscht, modifiziert und nutzt in der Natur ablaufende biologische Prozesse«, faßte Ratamo vereinfacht zusammen. »Und als Gentechnologie wird die Manipulierung des Erbguts von Organismen bezeichnet.«
Wrede runzelte die Augenbrauen. »Könnte der Mord irgendwie mit H & S Pharma oder mit dieser Genefab zusammenhängen?«
»Die Gentechnologie läßt sich sowohl für einen guten Zweck als auch für das Gegenteil verwenden. Wenn auf eine Kuh bestimmte Gene übertragen werden, erreicht man, daß sie Arzneimilch gibt. Andererseits kann man aus einem tödlichen Virus oder Bakterienstamm eine Superwaffe entwickeln.« Ratamo kam bei dem Thema langsam in Fahrt. »Jeder, der sich für die Wissenschaft interessiert, verfolgt heutzutage die Entwicklung der Gentechnologie mit Staunen. Sie wird das Leben der Menschen in diesem Jahrhundert mehr verändern als die Evolution in den letzten fünftausend Jahren.« Seine geröteten Augen glänzten jetzt vor Begeisterung.
Außerhalb der Welt der Wissenschaft, so klärte er seineKollegen auf, begreife man nicht, daß der Menschheit größere Veränderungen bevorstünden als je zuvor. Die Kartierung des menschlichen Erbguts und die Manipulierung von Genen würden zu Änderungen führen, die man mit dem Übergang des Lebens vom Wasser ans Land oder mit der Entwicklung der Primaten vom Affen zum Menschen vergleichen könne. Die Evolution käme an ihr Ziel, wenn der Mensch demnächst fähig wäre, selbst sein eigenes Erbgut zu manipulieren und über seine Zukunft zu entscheiden. Ratamo bemerkte bei seinem Resümee, daß ihm die Kollegen nicht folgen konnten. Er warf sich eine Disperin in den Mund, spülte sie mit Wasser hinunter und ließ sich ein Beispiel einfallen.
»Überlegt mal, wie man die verschiedenen Hunderassen mit herkömmlichen Mitteln im Laufe von Jahrtausenden züchten konnte. Mit Hilfe der Genmanipulation wird sich der Mensch möglicherweise in ein paar Jahrzehnten mehr verändern.«
Saara Lukkari trank Wasser und wirkte besorgt. »Die Wissenschaftler werden bald alles mögliche tun können. Ich habe irgendwo gelesen, daß ein chinesischer Arzt Männern helfen will, schwanger zu werden. Und ausgestorbene Tiere werden durch Klonen wieder zum Leben erweckt.«
Ratamo winkte ab. »Das ist reine Hysterie. Dieser Arzt will einen künstlich befruchteten Embryo in der Bauchhöhle einer männlichen Mutter befestigen, das ist ein alter Gedanke und hat nichts mit der Gentechnologie zu tun. Und der tasmanische Tiger ist erst im letzten Jahrhundert ausgestorben.«
Seine Kollegin massierte sich die Unterarmmuskeln wie ein Gewichtheber, der sich auf das Reißen vorbereitet. »Trotzdem ist es unnatürlich«, knurrte sie.
»Ist die Natur etwa ein Maßstab für die Perfektion?« erwiderte Ratamo verärgert. »Sie hat schreckliche Krankheitenentwickelt und den Homo sapiens, der seit Jahrtausenden seine Artgenossen mal mit dieser, mal mit jener Begründung abschlachtet. Impfungen, Blutspenden und auch die Verhütungspille wurden seinerzeit für unnatürlich gehalten und verurteilt. Die Dampfloks auch.«
Stille senkte sich über den Beratungsraum. Schließlich schlug Wrede so heftig gegen die knatternde Klimaanlage, daß seine rote Mähne durchgeschüttelt wurde. Dann bat er Saara Lukkari mit einem Blick fortzufahren.
Laut Bericht des BKA sei die H & S Pharma Inc. in Panama registriert, offensichtlich deshalb, weil das Aktiengesellschaftsgesetz dieses Staates anders als in Deutschland äußerst flexibel war. »Den Aktionärsvertrag und die Gesellschaftssatzung bekommen wir gleich am Montag, wenn der Alltag wieder Einzug hält«, versicherte Saara Lukkari.
»Wem gehört die Firma?« erkundigte sich Ratamo, während er staunend feststellte, wie breit der Butterfly-Muskel der Frau war.
»Genau erfahren wir auch das erst übermorgen.« Das BKA wisse nur, daß sich die Besitzverhältnisse bei H & S Pharma im letzten halben Jahr grundlegend geändert hatten, nachdem beide Gründer des Unternehmens gestorben waren. Ein Unternehmen namens Future Ltd. hatte der Witwe von Johann Schultz, einem der Gründer des Unternehmens, kürzlich knapp fünfzig Prozent des Aktienanteils
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