Finnisches Roulette
Gesinnungsgenossen einsetzten, dann bekämen die auf den Terrorismus eingeschworenen Mitglieder von »African Power« ihre Chance. Davor hatte Magadla Angst.
Die Rechnung kam. Magadla legte zwanzig Euro auf den Tisch, zeigte dem Kellner das Lächeln, das seine Mundwinkel immer umspielte, und trat hinaus auf die Pfingstweidstraße. Am späten Abend war es kühler geworden, jetzt hätte er ein dickeres Hemd gebraucht. Er ging in RichtungOstpark, vorbei an einem funkelnagelneuen Bürogebäude und einer Reihe flacher Wohnhäuser. Die Stadt sah sauberer aus als das Krankenhaus Bara in Soweto, und sie wirkte so ruhig, daß man das Gefühl hatte, durch eine Geisterstadt zu spazieren.
Am Park des Zoos erstarrte Magadla für einen Augenblick, als er die Wölfe heulen hörte, es erschien ihm unwirklich, hier mitten im Herzen der westlichen Effizienz den Lärm wilder Tiere zu hören. Das Geheul erinnerte ihn an seine Heimat, obwohl das Heulen der Hyänen eher wie ein Bellen klang. Magadla ging weiter, erreichte bald den Danziger Platz, bog am großen Kreisverkehr auf die Ostparkstraße ab und konzentrierte sich auf das bevorstehende Telefongespräch.
Magadla mußte in Kürze Wim de Lange anrufen, den Chef der Sicherungsgruppe. Der Mann hatte keine leichte Aufgabe: Seine Gruppe sollte in Kraków Laura Rossis Sicherheit gewährleisten. Ihr Gegner war das Kommando von Oberst Saul Agron, das keinen Augenblick zögern würde, alle Mittel einzusetzen, um das Pharmaunternehmen zu erobern.
Wenn Nelsons Plan gelang, dann wäre die Absicht von Oberst Agron durchkreuzt und ganz nebenbei auch der Plan von Anna Halberstam und Konrad Forster zunichte gemacht. »African Power« würde den Preis gewinnen, der dem Sieger zustand: H & S Pharma, Genefab und die Medikamente.
Ein Streifenwagen der Polizei verlangsamte auf der Ostparkstraße sein Tempo, als der Beamte auf dem Beifahrersitz sah, daß ein Schwarzer in den dunklen Park hineinging.
Das hölzerne Tor ließ sich leicht öffnen, Magadla betrat den mit Sand bedeckten Pfad, der zu dem Teich im Ostpark führte. Die Welt veränderte sich, dachte er, als er Wim deLanges Telefonnummer in seinem Taschenkalender suchte. Er, ein Schwarzer, gab dem ehemaligen Hauptmann der verhaßten Sicherheitspolizei aus der Apartheid-Zeit Befehle. Die Apartheid-Administration hatte Männer wie de Lange dann eingesetzt, wenn noch brutaler als üblich vorgegangen werden sollte, um das Aufbegehren der Schwarzen zu unterdrücken.
Magadla setzte sich auf eine hölzerne Parkbank und betrachtete ein Wildentenpärchen, das an ihm vorbeiwatschelte. Seine Gedanken schweiften ab und kehrten zu jenem Mittwoch im Juni 1976 zurück. Er war damals zehn Jahre alt und besuchte die Schule in Naled, als zwanzigtausend farbige Schüler aus dem Vorstadtghetto Soweto gegen den Zwang zur Verwendung der Sprache Afrikaans demonstrierten. Polizisten, Hunde und Tränengas hatten den Gesang
Nkosi Sikelel’ iAfrika
zum Schweigen gebracht, aber die Kinder begriffen nicht, daß sie fliehen mußten, sondern bewarfen die Polizisten enthusiastisch mit Steinen und zündeten Symbole der Apartheid an. Dann kam die Armee. Als das Feuer auf die Kinder eröffnet wurde, nahm Magadla die Beine unter den Arm und konnte noch rechtzeitig fliehen, bevor die Soldaten die Kinder eingekreist hatten. Aus sicherer Entfernung, versteckt hinter einem Baobab-Baum, beobachtete er die Tragödie und weinte die ganze Nacht. Im Morgengrauen löste sich der Rauchvorhang auf, der von den brennenden Wellblechhütten und Autowracks ausgegangen war. Nun bot sich Magadla ein Anblick, bei dem ihm übel wurde: Überall lagen verbrannte und zerquetschte Kinderleichen. Die Zahl der Toten erfuhren die Bewohner von Soweto nie.
Jetzt hatte sich die Rollenverteilung geändert. Die Sadisten der Sicherheitspolizei aus der Apartheid-Zeit waren Söldner und Wachleute geworden, die von jedem Aufträge annahmen, auch von schwarzen Südafrikanern. Nun arbeiteteder Bure Wim de Lange für den dunkelhäutigen Masilo Magadla. Er drückte auf die Taste mit dem Hörer.
Wim de Lange meldete sich mit den Worten:
»Hoe gaan dit?«
»Ek kan nie Afrikaans praat nie.«
Schon zum drittenmal mußte Magadla darauf hinweisen, daß er kein Afrikaans konnte. De Lange ärgerte ihn absichtlich, indem er seine Muttersprache benutzte.
Sie hatten die bevorstehenden Ereignisse in Kraków schon mehrmals durchgesprochen, aber Magadla wollte alles noch einmal wiederholen. Er unterhielt sich knapp zwanzig
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