Finnisches Roulette
und unsicheren Beinen einem Gummiball hinterher, doch urplötzlich blieb es stehen und schaute das Denkmal von Toivo Kuula an. Laura hätte am liebsten laut losgeheult. Als ihr aber einfiel, daß Sami sich von der Zelle aus nicht helfen konnte, schoß die Wut in ihr hoch. Sie mußte die Dinge klären, selbst wenn dafür all ihre Zeit, die besten Juristen Finnlands und ein Sack voll Geld notwendig wären. Sie würde Sami zurückholen, wenn nötig, mit Gewalt. Jetzt fing der Kampf erst richtig an.
Das Adrenalin wirkte erleichternd. Laura trank den Rest des lauwarmen Apfelweins aus, verließ das Restaurant und lief zur Straßenbahnhaltestelle an der Mechelininkatu. Es tat gut, in Bewegung zu sein, obwohl man vor seinen Gedanken nicht fliehen konnte. Die Sonne hatte den Asphalt so aufgeheizt, daß sie das Gefühl hatte, die Füße würden geröstet; am liebsten hätte sie jetzt im Meer herumgeplanscht.Seit ihrer Kindheit ging Laura regelmäßig schwimmen, sie kraulte immer noch zweimal pro Woche einen Kilometer in der Halle in Lauttasaari. Auch im Wasser konnte man das Alleinsein, die Ruhe genießen.
Als sie die Etäläinen Hesperiankatu erreicht hatte, klingelte ihr Handy. Sami? Laura griff nach dem Telefon wie nach einer Schlange und rief: »Hallo!«
»Spreche ich mit Laura Rossi?« fragte Konrad Forster auf englisch im Vogelzimmer der Villa Siesmayer. »Mein Name ist Jerzy Milewics. Wir bedauern die Ereignisse der letzten Tage. Ihr Mann ist kein Mörder. In meinem Besitz befinden sich aufgezeichnete Bilder, die beweisen, daß Ihr Mann Dietmar Berninger nicht getötet hat.«
Laura war so verblüfft, daß es ihr für einen Augenblick die Sprache verschlug. »Wer sind Sie? Wer ist der Mörder? Wie kann ich …«, stammelte sie.
»Ohne diese Bilder wird Ihr Mann wegen Totschlags, vielleicht sogar wegen Mordes verurteilt. Auch wenn er nicht vorbestraft ist, wird er jahrelang im Gefängnis sitzen.« Forsters ruhige Stimme klang so, als wäre er sich seiner Sache sicher.
Eine Welle der Erleichterung durchströmte Laura. Würde sich also doch alles klären? Sie versuchte sich zu beruhigen. »Was wollen Sie?«
Forster zuckte zusammen, als Eos sich auf sein Handgelenk setzte; die Kakadus ertrug er nur Anna zuliebe. »Ihr Mann hat vor einiger Zeit einen Kredit bei einer Organisation aufgenommen, die bei Ablauf der Zahlungsfrist nicht mit sich verhandeln läßt. Jetzt ist die Summe fällig, und Sie besitzen etwas, womit die Schuld getilgt werden kann. Unsere Organisation ist in Kraków, in Polen, tätig, und wir möchten gern ein Treffen hier bei uns, gewissermaßen als Heimspiel.« Forster legte seine Hand auf Annas Arm und lächelte beruhigend.
»Wollen Sie Geld? Ich …«
»Die Details nenne ich Ihnen gleich. Zunächst möchte ich nachfragen, ob Sie auch mit Bestimmtheit verstanden haben, daß kein Außenstehender jemals von diesem Gespräch erfahren darf. Das ist keine Bitte und keine Empfehlung. Das ist der Preis für die Freiheit Ihres Mannes und dafür, daß er am Leben bleibt«, sagte Forster resolut und hörte sich an, wie Laura ihm angstvoll mehrmals versicherte, sie werde ganz gewiß und absolut schweigen. Dann erteilte er der Frau seine Anweisungen.
Laura holte mit zitternder Hand einen Stift und ihren Kalender aus der Tasche, notierte sich, was man ihr sagte, und bestätigte, daß sie alles verstanden hatte. Dann war das Gespräch zu Ende. Sie spürte das brennende Verlangen, zur nächsten Polizeiwache zu rennen, aber die warnenden Worte des Anrufers dröhnten noch in ihren Ohren. Sollte sie es wagen, wenigstens Eeva anzurufen?
Die Angst versank allmählich in der Tiefe, als Laura zurück zum Ufer der Taivallahti-Bucht ging. Sie zwang sich, hart und ganz gelassen zu sein; sie mußte in dieser Situation die Verantwortung übernehmen. Diese Fähigkeit hatte Laura schon als Kind gelernt. Ihr war klar, daß sie mit Samis Leben nicht spielen durfte, und sie traf ihre Entscheidung: Sie würde mit der Maschine heute abend nach Kraków fliegen, um den Mann namens Jerzy Milewics zu treffen und Sami zu retten. Überrascht stellte sie fest, daß ihr das ganz natürlich vorkam. Sie würde für Sami alles tun, wirklich alles. Und sie fürchtete, daß genau das auch nötig sein würde.
8
Der Auspuff des grellgelben Käfers knallte und knatterte in der Tiefgarage der SUPO, es hörte sich an wie die Posaunen der Unterwelt. Der Schalldämpfer war kaputt. Das dreißig Jahre alte Cabrio streikte wieder einmal, obwohl die
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