Finnisches Roulette
empfehlen würde.
32
Jürgen Brauer, ein Ermittler des BND, schloß die massive Hofpforte der Villa Siesmayer. Mit raschen Schritten ging der großgewachsene Mann zu seinem Auto, stieg ein und schlug wütend auf das Lenkrad, das durch die Sonneneinstrahlung heiß geworden war. Anna Halberstam plante garantiert keine Unternehmensübernahmen und Morde, die Frau war sterbenskrank, fast bewegungsunfähig, und sie konnte kaum sprechen. Das Gespräch hatte ihn zweieinhalb Stunden gekostet, weil Anna Halberstam alles mögliche über das Programm des Unternehmens zur Erforschungder Krankheit ALS und über die Bemühungen zur Verlängerung der menschlichen Lebensdauer erzählt hatte und dabei ärgerlicherweise bis in die Einzelheiten gegangen war. Brauer hatte den Verdacht, daß sie sich einen Teil der phantasievollsten biotechnologischen Perspektiven selbst ausgedacht hatte. Das seelische Gleichgewicht der Frau schien gestört zu sein.
Dennoch hatte der Besuch einen Nutzen gebracht. Brauer glaubte jetzt, daß Anna Halberstam selbst in keiner Weise an der Regelung der Firmenangelegenheiten beteiligt war und daß Konrad Forster alles für die Witwe erledigte. Forsters Vorleben mußte genau unter die Lupe genommen werden, bevor er von seiner Geschäftsreise zurückkehrte und befragt wurde. Es war möglich, daß Forster, ohne Annas Wissen, sein Spiel mit dem Pharmaunternehmen trieb, jedenfalls paßte Forsters Foto genau zu der Beschreibung, die Laura Rossi von Jerzy Milewics abgegeben hatte.
Brauer strich den Schweiß aus seinem Schnurrbart. Dann holte er einen Stadtplan Frankfurts aus dem Handschuhfach und sah, daß Sabine Halberstam, die nächste Person, die er befragen mußte, nur einen Kilometer von der Villa Siesmayer entfernt wohnte. Geld kommt zu Geld, dachte Brauer, gab Gas und fuhr mit seinem BMW am Ostrand der Grünflächen des Palmengartens entlang in Richtung Grüneburg-Park.
Brauer hatte von seinen Vorgesetzten den Befehl erhalten, den Fall schnellstens aufzuklären: Eine Verbindung zwischen Arabern und einem Frankfurter Biotechnologieunternehmen war für den BND höchst brisant, weil Frankfurt als Finanzzentrum ohnehin schon ein erstrangiges Ziel der Terroristen in Deutschland darstellte. Man wußte, daß Al-Kaida Frankfurter Banken für den Zahlungsverkehr der Organisation genutzt und Anschläge mit Flugzeugen auf die Wolkenkratzer der Stadt geplant hatte.
Sabine Halberstam wohnte in der August-Siebert-Straße in einem dreigeschossigen Haus und belegte die ganze oberste Etage. Brauer vermutete, daß auch dieser Frau Halberstam über kurz oder lang das ganze Haus gehören würde, denn die Familie zog den Wohlstand wie die Schwerkraft unwiderstehlich an. Er klingelte zweimal und strich beim Warten über den Schnurrbart.
Eine ausgesprochen fit wirkende Frau um die Dreißig öffnete die Tür, und Brauer stellte sich vor. Die hochaufgeschossene Sabine Halberstam verzog den Mund zu einem verhaltenen Lächeln, die Konturen ihrer geschminkten Lippen waren verwischt, und aus dem Dutt im Nacken hingen einzelne Haare heraus. Aus irgendeinem Grund mußte Brauer an eine Wärterin der Sonderabteilung des Gefängnisses von Stuttgart-Stammheim denken, sie hatte kürzlich sein Gespräch mit einer Frau überwacht, die wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt worden war.
»Für unser Treffen bin ich extra früher nach Hause gekommen. Ich kann mich nicht entsinnen, wann ich das letztemal vor sechs Uhr von der Arbeit heimgegangen bin«, sagte Sabine Halberstam, begrüßte den Ermittler und führte ihn ins Wohnzimmer. »Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, Kaffee, Tee …?« fragte sie höflich.
Brauer hob die Hand zum Zeichen der Ablehnung. »Sind Sie allein?«
»Mein Mann Ehud Agron ist ein noch schlimmerer Workaholic als ich …«
»Sie benutzen immer noch Ihren Mädchennamen?«
»Ja, der Name Halberstam hat im Pharmageschäft ein gewisses Gewicht. Vor allem hier in Frankfurt«, antwortete Sabine. Stolz war herauszuhören. Ihrer Ansicht nach sah der junge Brauer in seinem eleganten dunklen Anzug eher wie ein Geschäftsmann aus und nicht wie ein Ermittler.
Brauer schaute sich kurz in dem Raum um: teure, moderneMöbel, Edelholzparkett, wertvolle Kunstgegenstände – alles entsprach seinen Erwartungen.
»Nun sagen Sie endlich, was passiert ist«, forderte Halberstam mit Nachdruck. »Haben Sie den Verdacht, daß es um Industriespionage geht?«
»Wieso vermuten Sie das?«
Sabine Halberstam lachte kurz. »Na, es
Weitere Kostenlose Bücher