Finnisches Roulette
besagen, daß er schon noch in den Aufzug hineinpassen würde. Der Bruder ganz in Weiß schob das Krankenbett hinter ihm in den Aufzug. »Giuliano Costa«, las Ben-Ami auf dem Namensschild des Pflegers, der in seine Unterlagen schaute.
Die Tür des Aufzugs schloß sich. Ben-Ami schaute verwundertzu, wie der Weißkittel die Injektionsspritze aus der Ampulle füllte und anschließend zweimal kurz drückte. Ein Tropfen glänzte an der Spitze der Nadel.
Ben-Ami erkannte den Angriff noch rechtzeitig, hob den Arm in Verteidigungsstellung und konnte im letzten Moment das Handgelenk des Angreifers aufhalten. Die Nadel der Injektionsspritze zitterte ein paar Zentimeter vor seinem linken Auge. Ben-Ami brachte den Pfleger mit dem Fuß aus dem Gleichgewicht, schlug ihm gegen das Brustbein und griff nach seiner Waffe. Der Spiegel zerbrach klirrend unter dem Gewicht des Pflegers, der Mann wurde durch die Wucht der Bewegung nach vorn geschleudert, drehte sich und stieß Ben-Ami den Ellenbogen in den Hals. Die beiden packten sich und fielen auf die Knie. Die Spiegelscherben bohrten sich in ihre Haut, Blut färbte die weißen Hosen des Krankenpflegers, und Flüche dröhnten dumpf durch den Aufzug. Ben-Ami griff so heftig nach einer großen Spiegelscherbe, daß Blut aus seinen Fingern spritzte. Als er sie zum Schlag erhob, jagte der Pfleger ihm die Spritze durch den Schuh hindurch in den Spann.
Ben-Ami spürte, wie er gelähmt wurde. Er sah seine Waffe auf dem Fußboden, aber seine Hände gehorchten ihm nicht mehr. Die Muskeln schliefen ein, und Wärme durchströmte seinen ganzen Körper. Der Pfleger hob ihn hoch und legte ihn auf das Bett. Ben-Ami verlor das Bewußtsein, kurz bevor sein Gesicht mit dem grünen Krankenhauslaken zugedeckt wurde. Über Sprechfunk teilte der Pfleger mit dem Bürstenhaarschnitt Wim de Lange mit, daß es Probleme gab.
31
Jussi Ketonen zog den Bauch so weit wie möglich ein, aber der Knopf der Frackhose war immer noch knapp zwei Zentimeter vom Knopfloch entfernt. Er blickte die Verkäuferin verlegen an und war einmal mehr von der Notwendigkeit einer strengen Diät überzeugt, wie bei jedem Besuch im Kleiderverleih »Juhla-Asu«. Hier lieh er auch immer seinen Frack für die Feier zum Unabhängigkeitstag aus. Im Moment hatte es allerdings keinen Sinn abzunehmen, denn die Hochzeit fand schon am nächsten Sonnabend statt.
»Wir haben vermutlich für einen … äh … Mann Ihrer Größe keine Hose, die … weiter geschnitten ist.« Die höfliche Verkäuferin wählte ihre Worte mit Bedacht. »Aber die wird bestimmt gut passen, wenn wir an den Nähten etwas herauslassen«, fügte sie eilig hinzu und reichte ihm den Frack zum Anprobieren. Wenigstens der saß ziemlich gut.
Ketonen wählte noch eine Weste und ein Frackhemd, Perlmuttknöpfe, eine Fliege und Lackschuhe aus; ein Taschentuch und Manschettenknöpfe hatte er selbst. Mit einem Seufzer der Erleichterung trat er auf die Fabianinkatu hinaus und nahm Mustis Leine vom Pfeiler der Markise. Der Beutel mit den Leckereien fand sich in seiner Jackentasche, und das alte Fräulein erhielt seine Belohnung. Dann überquerte das Paar die Straße vor dem massiven Gebäude des Generalstabs. Der warme Sommerwind wirbelte auf dem Kasarmitori den Staub auf und brachte Ketonens graue Haare durcheinander.
Die schlimmste Demütigung war schon überstanden, hoffte Ketonen, als ihm die Karaoke-Aktion vom Vortag einfiel. Der Abend war ein Leidensweg ohnegleichen für einen Mann gewesen, der nie in Kneipen saß, das letztemal auf der Frühlingsfeier in der Volksschule Ende der vierziger Jahre gesungen hatte und öffentliche Auftritte genausowenigmochte wie eine Zahnwurzelbehandlung. Er hatte schon im voraus befürchtet, daß sich die Kollegen irgend etwas ausdenken würden, aber eine solche Schikane hatte er dann doch nicht erwartet. Ketonen schätzte es jedoch, daß sie sich so viel Mühe gemacht hatten. Im Laufe der Jahre war eine gewisse Nähe zu seinen Mitarbeitern entstanden, obwohl er versuchte, ein wenig Distanz zu halten.
Es reizte Ketonen nicht besonders, bei einer Feier im Mittelpunkt zu stehen. Massenveranstaltungen waren ihm zuwider, aber Marketta wollte unbedingt eine traditionelle Kirchentrauung und die anschließende Feier mit zweihundert Gästen organisieren. Ketonen achtete die Traditionen zwar sehr, mied aber Stockfisch, Kantele-Musik und ähnliches, so gut es ging.
Der Rücken schmerzte beim Gehen, die Verrenkungen vom Vorabend hatten die Beschwerden
Weitere Kostenlose Bücher