Finnisches Roulette
glaubte, daß die besten Eigenschaften des Menschen durch Schwierigkeiten hervorgebracht wurden. Seine schönsten Erinnerungen stammten aus der Zeit voller Entbehrungen und Unruhen im Sowetoer Stadtteil Enden. In den siebziger Jahren gehörten die Krawalle und die Zusammenstöße mit der Polizei zum Alltag, aber die Menschen halfen einander und besaßen ein ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl. Es schien unfaßbar, daß sich die Lage in Soweto nach dem Machtwechsel verschlechtert hatte, heutzutage fürchteten sich die Menschen voreinander. Die Bewohner von Soweto benutzten ihre im Widerstand gegen die Apartheid eingesetzten Waffen nun gegen ihre Nachbarn, jetzt wurden mehr Morde, Raubüberfälle, Entführungenund Vergewaltigungen begangen als je zuvor. Allzu viele Bewohner von Soweto glaubten, die Lehre aus dem Untergang der Apartheid sei, daß man mit Gewalt Probleme lösen könnte.
Magadla betrat »Cicco’s Cafébar« in der zweiten Etage des Einkaufszentrums, bestellte einen doppelten Espresso und setzte sich möglichst nah an das Gedränge. Er zwang sich, wieder an Nelsons Plan zu denken. Das Spiel wäre verloren, wenn Eero Ojala seine Aktien den Handlangern Anna Halberstams übergab. Da Laura Rossi nun mal nicht mehr mit ihm sprechen wollte, würde Magadla Ojala selbst anrufen und beten, daß es Wim de Lange gelang, das Leben der finnischen Geschwister zu schützen. Magadla vertraute de Lange noch mehr, seit seine Gruppe heute morgen in dem Veroneser Krankenhaus einen erneuten Mordanschlag gegen Ojala erfolgreich verhindert hatte.
Seltsam, daß der zuverlässigste Kooperationspartner eines schwarzen südafrikanischen Freiheitskämpfers der burische Mörder Wim de Lange war.
Die Ärztin stemmte die Hände in die Hüften, starrte Eero Ojala an, der mühsam den Krankenhausbademantel überzog, und nickte im Takt des italienischen Wortschwalls, den der schimpfende Polizist von sich gab.
Ojala fühlte sich schwach, die Nähte an der Schulter spannten, und der Kopf tat ihm weh, aber er zwang seinen Körper zu funktionieren. Das Temperament der Italiener war übergekocht, als Laura ihnen soeben eröffnet hatte, sie wolle den Patienten zum Kaffeetrinken in das Café führen, das sich im Erdgeschoß befand. Der Polizist hatte wohl Bedenken wegen der Sicherheit bei diesem Spaziergang, deswegen der Redeschwall.
Ojala wunderte sich, man konnte ja wohl niemanden zwingen, in seinem Zimmer zu bleiben. Aber woher sollteer das wissen, das war schließlich seine erste Krankenhauserfahrung. Jedenfalls mußte er den Raum verlassen, wenn sie die Absicht hatten, den Vertreter Konrad Forsters zu treffen. Laura wollte das, und Ojala vertraute seiner Schwester. Er steckte seine Aktien unauffällig in Lauras große Schultertasche und sagte, er sei soweit.
Als das Telefon klingelte, endete der italienische Wortschwall abrupt.
»Pronto!«
Die Ärztin hielt Ojala wütend den Hörer unter die Nase.
Masilo Magadla sagte, er sei der »Freund«, der Laura von Anna Halberstams Plan berichtet hatte. »Ich weiß von der Entführung Sami Rossis und verstehe sehr gut, daß Sie Ihren Schwager retten wollen, aber das Treffen im Park Giardino Giusti ist nicht der richtige Weg. Dabei würden Sie nur Ihr Leben verlieren. Sie müssen …«
»Ich lege jetzt auf …«, Ojala war schon im Begriff, den Hörer vom Ohr zu nehmen, als die Neugier doch siegte.
»Warten Sie! Falls Sie in den Park gehen, dann sollten Sie etwas wissen. Vielleicht erfahren Sie die Wahrheit, wenn Sie tun, was ich Ihnen sage.«
Ojala schrieb Magadlas Anweisungen auf und versuchte seine Verblüffung vor Laura zu verbergen.
»Wer war das?« erkundigte sich Laura neugierig, als das Gespräch zu Ende war.
»Der ›Freund‹ hat zur Abwechslung versucht, mich zu überreden. Er weiß von unserem Treffen«, sagte Ojala, beschloß jedoch, Magadlas Anweisungen für sich zu behalten.
Der italienische Polizist ging den Finnen energisch voran und führte sie zu den Aufzügen. Im Café bestellte Laura für sich einen Kräutertee und für ihren Bruder einen Espresso. Die Patienten saßen in ihren Morgenmänteln da und beobachteten neugierig, wie der Polizist um den Tisch der Finnen herum patrouillierte wie eine Entenmutter, die ihre Küken hütete. Laura war aufgeregt, eine derartige Situationkannte sie bisher nur aus Kriminalromanen. Sie warf Eero einen Blick zu und schämte sich, daß sie ihren Bruder angelogen hatte und benutzte. Laura nahm sich vor, Eero nicht eine Sekunde
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