Finnisches Roulette
aus den Augen zu lassen, diesmal war es lebenswichtig, daß sie auf ihren Bruder aufpaßte. Ihre Zähne fanden ein Stück Nagel am kleinen Finger.
Die Geschwister nippten eine Weile an ihren Getränken und versuchten ganz locker und entspannt zu wirken. Dann sagte Laura dem Wachposten, sie müsse auf die Toilette, und ihr Bruder tat so, als hätte er das gleiche Bedürfnis. Der Polizist achtete nicht darauf, daß Ojala die Tasche seiner Schwester mitnahm, er folgte den Finnen ins Foyer und bezog mit entschlossener Miene seinen Posten zwischen den Türen der Damen- und Herrentoilette.
Der großgewachsene Ojala zog in der engen WC-Kabine ächzend seine Krankenhaussachen aus, holte Jeans und ein Hemd aus Lauras Tasche und stieß mit dem Knie gegen das Porzellan, als er die Hose anzog. Ein ekliger Gestank stieg ihm aus dem Toilettenbecken in die Nase. Er knallte den Deckel zu, spülte und zog sich weiter an. Warum hatte Laura für die italienische Hitze ein langärmliges Hemd gekauft? Sein Kopf schmerzte, am liebsten wäre er wieder ins Bett gegangen, aber Laura verließ sich auf ihn, und er durfte sie nicht enttäuschen, da er seiner Schwester endlich einmal helfen konnte.
Laura wartete in ihrer Kabine, sie hatte Eero zwei Minuten zum Umziehen gegeben. Es erschien absurd, aus dem Krankenhaus zu fliehen, um Killer zu treffen, aber was sonst hätte sie tun sollen – Sami mußte gerettet werden. Sie war gezwungen, irgendwo die Kraft zu finden, damit diese Hölle endlich aufhörte. Um die Warnungen ihres Verstands zu ersticken, ging sie ihren Fluchtweg noch einmal durch, den sie vorher abgelaufen war. Nach den zwei Minuten öffnete sie das kleine Fenster zum Hinterhof, kletterte hinausund sprang auf den sonnenverbrannten Rasen, der unter ihren Schuhen knisterte.
Laura sah, wie ihr kräftig gebauter Bruder in der Fensteröffnung ächzte, er war mit den Schultern im Rahmen hängengeblieben. Laura flüsterte ihm Anweisungen zu und zerrte so heftig an seinem gesunden Arm, daß sie fürchtete, er könnte ausgerenkt werden. Schließlich knackte irgend etwas, Eero konnte sich hinausschieben und landete auf dem Rasen.
Sie eilten in Richtung Uferstraße, dann bis zur Brücke Ponte Catena und stellten sich an die nächste Taxihaltestelle.
Rafi Ben-Ami teilte seinem Kommando mit, daß er die Finnen an der Brücke Ponte Catena gesehen hatte, während sich zur gleichen Zeit Wim de Langes Sicherungsgruppe mit einem VW-Transporter dem Taxi der Finnen an die Fersen heftete.
38
In dem winzigen Büro des überdachten Innenhofes am Eingang zum Garten Giardino Giusti verkaufte ein freundlicher alter Herr Laura und Eero die Eintrittskarten. Der Parkwächter musterte das Touristenpärchen neugierig. Dem großen Mann, der sich die Schulter hielt, ging es anscheinend nicht gut, und die kleine Frau mit den Rastalocken sah blaß und ängstlich aus. »Der Garten wurde im sechzehnten Jahrhundert geschaffen. Mozart, Goethe und viele aus der Familie de Medici sind hiergewesen. Ich kann Ihnen noch mehr erzählen, wenn Sie möchten, daß …«
Mit einem höflichen Lächeln und einer Handbewegung gab Laura zu verstehen, daß sie auf eine Führung verzichteten. Sie schaute über ihre Schulter und preßte ihre Handtasche an sich. Laura war auf alles vorbereitet, sie hatte sowohlEeros Aktien als auch die Schenkungsurkunde des »Freundes« mit. Die Angst kroch ihr die Kehle hoch. Jetzt mußte sie so eiskalt sein wie noch nie, die Menschen, die sie liebte, waren in Gefahr.
Laura hätte nicht sagen können, was sie mehr fürchtete, einen erneuten Mordversuch oder daß Ratamo ihr folgen und das Treffen verhindern könnte. Laura hatte den Ermittler angelogen und gesagt, sie wolle Mittagsschlaf halten und in ihrem Zimmer bleiben. Doch woher wußte sie, ob Ratamo ihr geglaubt hatte? Vielleicht mußte das Hotelpersonal ihn informieren, wenn sie ihr Zimmer verließ. Laura hatte nicht die geringste Ahnung, welche Tricks ein Polizist in der Hinterhand hatte. Sie hoffte, daß der sympathische SUPO-Mitarbeiter wegen ihres Täuschungsmanövers keine Schwierigkeiten bekommen würde.
Die aufsteigende Angst ließ sich nicht unterdrücken, es half auch nicht, wenn sie schluckte. Aber Laura zwang sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Irgendwo in dem riesigen Garten wartete Sami auf sie.
Ratamo ging auf der nördlichen Uferstraße an der Adige in Richtung Hotel »Italia« und betrachtete die idyllischen Landgüter und Weingärten und die Berggipfel am
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