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Finns Welt - 01 - Finn released

Finns Welt - 01 - Finn released

Titel: Finns Welt - 01 - Finn released Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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hockt und von dort Frischfleisch zu seinem Wachhund hinunterschmeißt. Unsere Blicke begegnen sich für einen Moment.
    »Heinrich!«, ruft der Mann mit einer Stimme wie aus einem uralten Film und der Hund lässt vom Fleisch ab und kommt sofort angelaufen. Sein Herrchen schlägt ihm mit der flachen Hand so heftig auf den Hintern, dass wir die Resonanz im Körper des Hundes hören und Lukas empört »Hey!« ruft. Die Dogge mit Namen Heinrich trollt sich winselnd ins Haus.
    »Runter da!«, sagt der Mann und ich folge seinem Befehl, als würde seine tiefe Stimme mich hypnotisieren. Ich gebe es zu, Erwachsene sind für mich fast immer nur Spielfiguren. Nette Menschen, leicht zu manipulieren, da sie mich meist unterschätzen. Aber dieser Typ hier macht mir Angst. Seine Stimme gräbt sich in meinen Bauch wie eine rostige Faust.
    »Warum könnt ihr nicht lesen?«, ertönt die Stimme des Mannes.
    »Was?«, stammelt Flo.
    »Ihr müsst Analphabeten sein, sonst hättet ihr die Schilder am Tor gesehen.«
    »Wir können lesen, es ist nur so …«, stammelt Flo weiter.
    »Wer ist euer Anführer?«, fragt der Mann, als sei es ganz selbstverständlich, dass eine Gruppe einen Anführer hat. Lukas und Flo sehen beide zu mir. Die Augen des Mannes richten sich auf mich. Sie sind fast schwarz. Sein Haar ist lang und zottelig. Die Wolken werden immer dichter.
    »Ihr habt verbotenen Boden betreten«, sagt der Mann so dramatisch, dass ich normalerweise lachen würde. Aber hier wirkt es, als könne es auf diesem Hof kein Lachen geben. Kein Lachen und kein Licht.
    »Ich kann das erklären«, sage ich und sehe ein wenig Erleichterung in den Gesichtern meiner Freunde. Sie denken, mir ist mal wieder eine spitzenmäßige Geschichte eingefallen, aber sie ahnen nicht, was ich gleich tun werde. Jetzt, im Angesicht dieses finsteren, schwarzäugigen Mannes, werde ich ausnahmsweise mal die Wahrheit sagen.
    Ich lupfe mein T-Shirt und offenbare den Sender und das Kabel, das zu dem winzigen Mikro hinführt. »Wir brechen nicht bei Ihnen ein. Wir drehen einen Film. Querfeldein.«
    Lukas und Flo trauen ihren Ohren kaum, unterbrechen mich aber auch nicht, als ich dem Mann erkläre, was wir den ganzen Tag tun. Er hört sich meine Geschichte an und legt alle Fingerspitzen aneinander, sodass seine rissigen Hände wie ein Dreieck vor seinem Gesicht schweben. Er atmet rasselnd ein und sagt dann langsam und bedrohlich: »Junge. Es gibt nur eine Sache, die ich noch mehr hasse als die Frechheit, sich einfach auf meinen Grund und Boden zu schleichen. Und das ist, wenn man mich anlügt.«
    »Das ist keine Lüge!«, sage ich und halte ihm Mikro und Sender im wahrsten Sinne des Wortes unter die Nase. Er schlägt sie mir einfach aus der Hand. Seine Hand ist eine Pranke. Krachend landet die teure Technik im Staub. Wir zucken alle zusammen und ich weiche unwillkürlich ein paar Schritte zurück.
    »Spielzeug!«, brüllt er. »Eine alberne Ausrede, falls euch jemand erwischt. Wo ist denn euer Kameramann, wenn ihr vom Fernsehen seid? Na?«
    Wir suchen nach Jan-Eric, aber er kommt nicht aus seiner Deckung. Er muss doch aus seiner Deckung kommen! Das ist jetzt kein Spaß mehr! Oder denkt er, das hebt alles die Quote? Hebt es die Quote, wenn der Mann uns umbringt?
    »Es ist ohnehin bald aus mit euch«, sagt der gruselige Hofbesitzer. Holt er jetzt seine Axt hervor? Wo bleibt nur Jan-Eric? »Die Polizei ist in zwei Minuten hier.«
    »Was???«, schreien wir alle gleichzeitig.
    »Ich hatte sie bereits angerufen, als Heinrich anschlug.«
    »Aber wir …«
    »Ja, ja, ihr dreht einen Film.« Der Mann hebt Kopf und Stimme und ruft über das Gelände: »Herr Regisseur! Kommen Sie raus und retten Sie Ihre Stars!« Nichts passiert. Er lacht dreckig. Dann verstummt er, starrt uns kurz an und flüstert: »Lauft!«
    Wir drehen uns um und stürmen los, vom Hof herunter, die schmale Straße hinab und zurück in Richtung Hugenottenstraße. Wir müssen rennen, denn wir können keine Polizei gebrauchen. Wir haben heute bei einem Aldi geklaut. Wir sind durch einen Autobahntunnel gelaufen, den man nicht benutzen darf. Wer weiß, wer uns alles schon bei der Polizei gemeldet hat!
    Jan-Eric ist offenbar verschwunden. Abgehauen. Dieser Mistkerl! Ich wollte eine gute Gage verdienen und jetzt bin ich auf der Flucht. »Werft alles weg, was euch irgendwie ausweist!«, sage ich, während wir laufen, und schon rieseln unsere Schüler- und Büchereiausweise und Busdauerkarten in die Büsche am Straßenrand.

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