Finns Welt - 01 - Finn released
Sohn Flo befreundet bist. Ich dachte, ich frage dich mal, wo dein Papa ist. Der ist nämlich nicht zu Hause, obwohl wir verabredet sind.«
Es ist tatsächlich ein Kunde! Ich freue mich und strahle. Jan-Eric bemerkt es, denn er hebt vorsichtig seine Kamera.
»Was wollen Sie denn?«, frage ich.
»Es geht um die ganzen Druckmaschinen. Und die Pressen.«
»Wie?« Ich spüre, wie mir im Bauch und unter den Rippen ganz heiß wird.
»Na ja«, sagt der Mann, »ich bin doch der, der das alles kaufen will. Vielleicht. Wenn dein Vater mir einen guten Preis macht. Hallo? Bist du noch dran?«
Die letzten Worte des Mannes höre ich kaum noch, denn mir wird schlecht. Meine Ohren sausen und es fühlt sich an, als habe sich in meinem Hals ein dicker Klumpen aus alten Haaren und Schleim gebildet. Der Mann will Papas Maschinen kaufen! Das heißt, dass Papa völlig pleite ist. Nicht nur ein bisschen. Er will aufgeben. Ich denke an meinen Opa hoch oben am Deich und wie er reagieren wird, wenn er das hört. Seine alten Maschinen, verschleudert für ein paar Euro! Es wird ihm das Herz brechen. Und wie sieht es dann bei uns zu Hause aus? Keine Druckerei mehr im Keller. Kein schummrig beleuchteter Schreibtisch. Papa wird aufhören, seinen Roman zu schreiben. Er wird aufhören, Spaß am Leben zu haben. Er und Mama werden sich anschweigen, still und bitter. Alles wäre gescheitert. Sie wären arbeitslos. Am Ende ziehen wir aus dem Viertel aus, weil wir uns kein Haus mehr leisten können. Weg von Lukas. Weg von Flo. Weg von Torwänden im Garten und Tauschwurfgeschäften von Fenster zu Fenster. In das Satellitenhaus – oder noch schlimmer: in eine neue Stadt, weil es nur dort Arbeit gibt. Ich muss was unternehmen. Und ich muss so sprechen, dass nicht mal Jan-Eric, Lukas und Flo begreifen, dass mein Vater sein Geschäft auflösen wollte. Ich sage: »Hören Sie mich?«
»Ja.«
»Da bin ich wieder.«
»Und was ist nun? Ich stehe hier vor eurer Haustür.«
»Dann fahren Sie wieder weg.«
»Wie bitte? Aber ich habe doch das Inserat mit eigenen Augen gesehen.«
»Tut mir leid, aber das ist wieder mal so ein blöder Scherz von Alessandro.«
»Wer ist Alessandro?«
»Alessandro ist ein Kegelbruder meines Vaters«, erzähle ich, »und er hat einen seltsamen Humor. Sie spielen sich Streiche, seit sie acht Jahre alt sind. Damals kam Alessandro mit seinen Eltern aus Italien nach Deutschland. Er stammt aus Cassino, in der Toskana. Toskana klingt nach Urlaub, aber seine Eltern waren recht arm und haben sich hier was aufgebaut. Einmal, da hat Alessandro einen Freund von sich als General der Bundeswehr verkleidet bei uns auftauchen lassen. Er hat behauptet, mein Vater würde eingezogen, als Kommunikationshelfer auf einem Piratenbekämpfungsschiff in Somalia. Er hatte ein offizielles Schreiben dabei. Mein Papa war für eine Sekunde bleich, bevor er loslachte.«
Der Mann am anderen Ende der Leitung kauft mir die Geschichte ab. Sogar Jan-Eric, Lukas und Flo scheinen sie zu glauben. Sie gucken jedenfalls eher amüsiert als besorgt.
»Der Mann, mit dem ich den Termin gemacht habe, hatte keinen Akzent.«
»Natürlich nicht«, sage ich, »Alessandro lebt seit vierzig Jahren in Deutschland. Denken Sie, da muss er immer noch sprechen wie ein Comedian, der Italiener nachmacht? So nach dem Motto: Du se wollen uno latte macchiato zu die Maschineeeee?«
Der Mann antwortet nicht.
»Sind Sie rassistisch, oder so?«, frage ich.
Der Mann schnauft ärgerlich. »Na toll. Dann bin ich also zweihundertzwanzig Kilometer wegen eines Scherzes gefahren.«
»Stellen Sie das Spritgeld Alessandro in Rechnung«, sage ich so selbstverständlich, als würde Alessandro existieren. »Soll ich Ihnen die Adresse und Telefonnummer geben? Mail weiß ich nicht mehr so genau, das müsste so was sein wie Alessandro bella Italia at Hotmail dot com, mit Unterstrichen.«
»Nein, ist schon gut.«
»Tut mir echt leid.«
»Du kannst ja nichts dafür«, sagt der Mann. Er legt auf. Ich drücke auf meine Handytaste und es piept. Jan-Eric und die Jungs sehen mich an.
»Wer ist Alessandro?«, fragt Lukas.
»Was hat er für einen Scherz gemacht?«, fragt Flo.
Jan-Eric fragt gar nichts. Er sieht mich nur an wie ein Psychologe, der seinen Patienten Schritt für Schritt besser begreift. Ich antworte niemandem. Stattdessen sehe ich mir die Moosritzen im Bürgersteig an. Ich sollte noch irgendwas zu meiner Geschichte sagen, weil ich das sonst auch immer tue. Irgendeine Weisheit muss ich
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