Finns Welt - 02 - Finn reloaded
Punktwertungen hat«, sagt Vivien. »40 von 40 wäre ein großer Betrug.«
Ich denke nach und suche nach Gründen, warum ich Heiner Punkte abziehen könnte. »Er hat Minuspunkte bei den S-Kategorien gemacht«, sage ich. Bei Normal-Männlichkeit steht er hoch, aber bei der Sophia-Männlichkeit weiter unten, weil er heimlich mit uns Fleisch gegrillt hat.
»Na, siehst du«, sagt Vivien und sieht mich so warm an, dass mir ganz kalt an den Händen wird. »Ist also doch alles in Ordnung.« Wir schweigen einen Moment gemeinsam und schauen zu Lukas, der mit Heiner und Flo am Teich steht. Flo erzählt etwas und sie lachen.
»Ich habe gehört, sie haben die Papiertonnen durchwühlt?«, fragt Vivien. Ich nicke.
Sie wedelt mit dem Weißbrot und zitiert etwas, als hätte sie es auswendig gelernt: »Nirgendwo erfährt man mehr über einen Menschen als durch seinen Müll.« Sie sieht mich an. »Das habe ich gelesen, irgendwo im Internet. Da gab es einen Künstler, der hat die Tonnen von ganz normalen Leuten durchsucht. Aus den Sachen, die er fand, hat er auf ihre Lebensgeschichte geschlossen. Auf ihre echte Lebensgeschichte. Nicht die, die sie von sich erzählen oder auf Facebook stellen. Und er lag jedes Mal richtig.«
Vivien und ich schlendern zum Teich rüber und Lukas greift schnell nach Viviens Hand.
»Wir haben Heiner gerade von deiner Idee erzählt, dass die Ureinwohner am anderen Ende der Welt hier den Teich leer saugen«, berichtet Flo.
»Das war Lukas’ Idee. Ich habe nur darauf geantwortet, wo man rauskommt, wenn man sich durchgräbt.«
»Mitten im Wasser«, sagt Heiner.
»Wie?«, fragt Lukas. »Man landet nicht in Australien?«
»Nein. Bohrt ihr von hier durch, dürftet ihr mitten im Südpazifik landen. Genau zwischen Neuseeland und der Antarktis.«
»Ha!«, sagt Lukas und klatscht in die Hände. »Da gibt es also doch mal was, was Finn nicht weiß.« Er springt herum, dreht sich auf der Stelle und schießt unsichtbare Bälle weg. Das ist wohl seine neue Art von Jubel. Er guckt, woher die Pässe kommen, stoppt den Ball und schießt ihn wieder weg.
»Woher weißt du, dass er recht hat?«, frage ich. Ich sage »er« statt »Heiner«. Es klingt böser, als ich es meine. Aber es ärgert mich, dass Lukas so herumspringt.
»Weil Heiner immer recht hat!«, sagt Flo.
»Niemand hat immer recht«, sagt Vivien und lächelt mich an. Lukas bemerkt es nicht, er ist gerade zu beschäftigt damit, eine hohe Flanke, die es gar nicht gibt, ins gedachte Tor zu köpfen.
Um kurz vor Mitternacht gehe ich aufs Klo. Kaum bin ich in Sophias Haus und schließe die Terrassentür, wird das Getümmel im Garten zu einem leisen Raunen. Ich mag leises Raunen. Als Kind ging ich gerne ins Bett, wenn die Erwachsenen unten im Wohnzimmer noch feierten. Ich lag im Dunkeln und hörte ihnen zu. Den tiefen Stimmen der Männer. Dem hellen Geschnatter der Frauen. Dem bauchigen Gelächter, das aufbrandete wie eine Welle, die gegen Planken schlägt. Sophias Bad ist groß und gemütlich. Eine Palme steht zwischen Wanne und Klo. Die Fliesen sind warm von der Fußbodenheizung und das Licht ist golden. Ich ziehe meine Schuhe und Socken aus, weil ich beim Kacken die blanken Füße auf die warmen Fliesen stellen will. Auf der Ablage neben der Toilette liegen Kunstzeitschriften von Sophia und Comics von Flo, neue Hefte der X-Men. Er spielt zwar den halben Tag WoW , aber er könnte das mit dem Beyonder trotzdem besser erklären als ich. Er nennt sogar manchmal Figuren, die überhaupt niemand auf dem Schirm hat. Oder wer kennt Shinobi Shaw, Wind Dancer oder Yellow Claw? Ich nehme ein Heft und lehne mich zurück. Ein Schwall Gartengeräusche dringt ins Haus, als jemand das Wohnzimmer betritt.
»Ich hole den Champagner aus dem Kühlschrank!«, ruft Heiner und schließt die Terrassentür. Seine Schritte führen an der Badezimmertür vorbei in die Küche. Er öffnet klimpernd den Kühlschrank. Sein Handy klingelt. Er geht ran.
»Du sollst mich doch nicht anrufen«, sagt er und ich horche auf. Heiner dämpft seine Stimme. »Ja, ich bin drin. Du hast recht gehabt. Die Frau ist echt unglaublich. Ja. Ein scharfer Hase. Ich weiß. Ja. Genau. Drei Monate. Und ruf nicht mehr an.« Dann legt er auf. Er zieht die Flasche aus dem Kühlschrank.
Was war das denn?
Ich bin drin?
Wieso sagt er so was? Und zu wem? Und wie redet er über Sophia?
Ich weiß nicht, was ich denken soll, also denke ich gar nicht. Aber mein Körper handelt. Er steht vom Klo auf und tapst zum
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