Finns Welt - 02 - Finn reloaded
Schalter, um das Licht auszumachen. Gut, dass ich keine Schuhe mehr anhabe. Ich weiß nicht genau, warum, aber mein Körper ist der Ansicht, dass Heiner nicht bemerken soll, dass jemand im Bad ist. Die Schritte bumpern aus der Küche und werden kurz unterbrochen. Ich stehe innen an der Tür im Dunkeln und halte die Klinke fest, als könne jemand versuchen, sie jeden Moment mit Gewalt runterzudrücken. Die Schritte gehen weiter. Ich bleibe noch ein paar Minuten im finsteren Badezimmer stehen, bis draußen die Korken knallen und der Gitarrist Happy Birthday to You anstimmt. Dann mische ich mich zwischen die Leute und singe mit, als wäre ich die ganze Zeit dabei gewesen.
Die Party ist vorbei. Ich bin daheim und kann nicht schlafen. Es ist fast drei Uhr nachts. Heiners Telefonat geht mir nicht aus dem Kopf.
Ich bin drin.
Drei Worte sind das nur. Drei doofe Worte. Aber sie wirken so, als hätte mitten im Spiel plötzlich der Bildschirm gewackelt. Alles verzerrt, für ein paar Sekunden, und keine Erklärung, warum.
Ich habe nachgeforscht, wo man herauskommt, wenn man in Sophias Garten ein Loch quer durch die Erde bohrt. Es gibt ein Programm dafür im Netz. Man findet es, wenn man hartnäckig sucht: http://map.talleye . com/bighole.php. Das Loch endet zwischen Neuseeland und der Antarktis, mitten im Meer. Die Koordinaten lauten 50°50 39 Süd, 172°50 23 West. Ich gebe sie bei Google Earth ein. Nichts. Kein Land in keiner Richtung. Nicht mal die winzigste Insel. Egal, wie oft ich höher und höher zoome – da ist Tausende von Kilometern in jede Richtung nur Wasser. Heiner hatte also recht. Fällt man durch Sophias Teich quer durch die Erde, ist man hoffnungslos verloren. Ich mache den Rechner aus, lege mich aufs Bett und schalte den Fernseher am Fußende ein. Ich benutze ihn fast nie, aber ich will jetzt, dass mir einer was erzählt. Es laufen die Nachtwiederholungen von Abendsendungen. Stefan Raab macht sich über eine Frau im Glitzerpulli lustig. Ich schalte weiter. Ein Ermittler beugt sich in New York mit Stirnfurchen über Akten. Ich schalte weiter. Ein Mann verschwindet mit gesenktem Kopf zwischen Vorgärten mit Rosen und Koniferen aus einer Straße. Das Viertel sieht aus wie unseres. Ich bleibe dran. Der Sprecher sagt: »Zwölf Jahre lang lebte Helmut Seifert mit seiner Frau und seinem Sohn Fabian ein harmonisches Familienleben. Er war ein Vorbild für seine Mitmenschen. Klug, verlässlich, humorvoll, hilfsbereit. Der optimale Ehemann, Vater und Nachbar. Keiner aus seinem Umfeld hätte sich vorstellen können, dass er zur gleichen Zeit, fünfhundert Kilometer entfernt, eine zweite Familie hat. Noch eine Frau. Noch einen Sohn. Die Frauen und Kinder wussten nichts voneinander. Immer wenn er bei seiner anderen Familie war, gab er vor, auf Geschäftsreise zu sein.« Ich setze mich auf, die Fernbedienung im Schoß. Eine Nachbarin wird vom Reporter befragt. Sie trägt grüne Gartenhandschuhe und stützt beide Hände auf eine Harke. »Also, dass der Helmut nicht das war, was er schien, das kann ich bis heute nicht begreifen.« Man sieht die Ehefrau und den Sohn. Vor ihm liegt ein Fußball. Im Hintergrund plätschert der Brunnen eines Gartenteiches.
Die Szene wechselt ins Fernsehstudio von stern TV. Ein grauhaariger Mann sitzt im Sessel gegenüber dem Moderator, dessen Namen ich mir nicht merken kann. Unten im Bild steht: Prof. Dr. Reinhard Klopfer, Psychologe. Der Moderator fragt: »Eine unglaubliche Geschichte. Da leben Frau und Kind zwölf Jahre lang mit einem Mann, der gar nicht der ist, der er vorgibt zu sein. Herr Professor Doktor Klopfer, wie kann man so was überhaupt bemerken?«
Professor Klopfer lächelt und senkt kurz den Kopf. Er räuspert sich. »Nun, wir müssen als Menschen zunächst mal akzeptieren, dass wir nie hundertprozentig sicher sein können. Aber ein Anzeichen gibt es.«
»Welches ist das?«
Professor Klopfer holt tief Luft und wartet ein paar Sekunden. Er legt die Fingerspitzen beider Hände vor dem Kinn zusammen und sagt: »Eben im Bericht war vom optimalen Ehemann, Vater und Nachbarn die Rede. Und das gibt es nicht. Optimal gibt es nicht. Wenn etwas zu gut scheint, um wahr zu sein, dann ist es meistens auch nicht wahr.«
Ich schalte den Fernseher aus. Das ist doch alles bescheuert. Flo hat endlich einen guten Stiefvater gefunden und Sophia ist glücklich. Vivien hat gesagt: Wer 40 von 40 Punkten hat, betrügt. Heiner hat mit uns Fleisch gegessen und kann das Rohrsystem in seinem Bad
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