Finns Welt - 02 - Finn reloaded
nicht selber reparieren. Aber sonst? Ich knete an meiner Bettdecke herum. Im Erdgeschoss geht die Klospülung. Ich erinnere mich daran, wie Opa in der Tür stand, bevor er fuhr. Er hat auf den Bauch und das Herz gezeigt. »Diese beiden spüren, wenn etwas nicht stimmt. Wenn du das Gefühl hast, dass etwas nicht stimmt, dann ist es meistens auch so. « Ich stehe auf und mache meinen PC wieder an.
»Du siehst ja aus wie eine Knautschzone!«, begrüßt mich Lukas am nächsten Mittag, als ich nebenan den Garten betrete. Heiner steht mit zurückgekrempelten Ärmeln neben den Stämmen und Ästen. Er sieht so glücklich aus wie ein kanadischer Holzfäller, der in die Berge schaut. Er liebt sein Leben. Wenn ich ihn jetzt so sehe, schäme ich mich fast dafür, was ich bis sechs Uhr morgens gemacht habe. Und trotzdem muss ich es den Jungs erzählen, sobald Gelegenheit dazu ist. Ich kann nicht ignorieren, was er am Telefon gesagt hat. Ich kann ihn nicht mehr so ansehen wie zuvor.
Wir bauen den ganzen Tag, denn Heiner kennt mal wieder keine Gnade. Ast für Ast wird zugeschnitten, hochgereicht und angebracht. Man fühlt sich von ihm behandelt wie ein Profi. Deswegen hält man durch. Man ist kein dreizehnjähriger Junge mehr, sondern ein echter Zimmermann. Ich kann mir jetzt schon vorstellen, wie das Baumhaus später von innen aussieht. Wie eine uralte Hütte in den Bergen. Flo genießt jede Sekunde. Und ich auch, wenn ich ehrlich bin. Während der Arbeit verliere ich mich in Holz, Schweiß und Spänen. Ich rede mir ein, dass ich den Jungs vielleicht doch nichts erzählen muss, aber kaum ist Heiner zum Dienst ins Hotel gefahren, tue ich es doch. Wir nehmen Reste vom Party-Essen mit auf Flos Zimmer und ich werfe den Computer an.
»Was machst du?«, fragt Lukas.
»Ich muss euch was zeigen.« Ich öffne den Browser, gehe zu Google und sage: »Tipp mal Heiners ganzen Namen ein.«
Flo kaut ein Stück Baguette mit Knoblauchbutter, leckt sich die Finger ab und tippt. Google zeigt: 0 Treffer. Lukas streckt sich auf dem Bett aus. Flo sagt: »Ja, und?«
»Wie? Ja, und?« Ich patsche mit der flachen Hand auf den Monitor. »Heiner hat null Treffer. Hast du mal seine Visitenkarte gesehen? Er hat nicht einmal eine E-Mail-Adresse.«
»Er ist absichtlich nicht im Netz. Er denkt, Facebook verkauft seine Seele und der Geheimdienst liest jede Mail. Das kann man komisch finden, aber das ist doch wohl sein gutes Recht.«
»Er ist Barchef in einem Hotel. Er lebt davon, Umgang mit Menschen zu haben!«
»Ja, eben! Mit echten Menschen.«
Lukas lacht: »Und das sagt einer, der World of Warcraft spielt.«
»Wer nicht im Netz steht, existiert nicht«, sage ich.
»Das gilt vielleicht für uns«, sagt Flo. »Aber es gibt immer noch viele Erwachsene, zu denen du im Netz nichts finden kannst.«
»Stimmt nicht.«
»Stimmt wohl.«
»Jeder, der existiert, hat eine digitale Spur. Ob er will oder nicht. Man kann sagen, man will nichts mit dem Internet zu tun haben, aber es kriegt einen doch! Soll ich’s dir beweisen?«
»Mach doch …«
»Mein Opa«, sage ich und tippe seinen Namen ein, »hat niemals irgendwas mit dem Netz am Hut gehabt. Er ist ein alter Drucker und Buchbinder. Lieber hört er zehn Stunden lang am Deich den Möwen zu, als auch nur eine Sekunde am Computer zu verschwenden. Hat er mal gesagt.« Ich drücke auf Return. Zu meinem Opa kommt: 1 Treffer. Ein Artikel von zwei Touristen in ihrem Urlaubsblog. Sie haben sich mit meinem Opa vor seinem Haus abbilden lassen, weil sie das Dach aus Reetgras so toll fanden. Er lächelt gequält, aber er konnte auch nicht Nein sagen. In der Unterzeile zum Foto steht sein Name ausgeschrieben.
»Versuch mal meine Oma«, sagt Lukas. »Die gibt’s bestimmt nicht. Einmal war sie zu Besuch, da kam sie an der Tastatur von meinem Vater an eine Taste und der Browser ging zu. Papa sah sie ganz entsetzt an … Finn, pass auf, das könnte von dir sein … er sah sie ganz entsetzt an und sagte: ›Mutter, du hast soeben das Internet gelöscht.‹ Oma wurde kreidebleich.«
Flo kichert.
»Wie heißt sie?«, frage ich.
Lukas steht auf und tippt den Namen ein. 1 Treffer. Ein Verzeichnis der Teilnehmer am Seniorenturnen.
Flo kratzt sich am Kinn. Er beugt sich über die Tastatur und gibt »Adolf Hertl« ein. 1 Treffer. Eine Historie der Blaskapellen unserer Stadt, von 1894 bis heute, versteckt auf den Archivseiten des Schützenvereins. »Mein Urgroßvater«, erklärt Flo und starrt auf den Bildschirm.
»Dein
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