Finns Welt - 02 - Finn reloaded
seine Augen jagen hin und her, als verfolgten sie eine Fliege. Dann rasten sie auf uns ein. Er seufzt. Und nickt.
Jetzt wollen die Jungs einen Plan. Von mir, natürlich.
»Du musst mich verdreschen«, sage ich zu Flo.
»Was?«
»Wir tun so, als ob wir uns prügeln würden. Es muss echt aussehen, sodass die Männer dazwischengehen. Wenn sie das tun, holt Lukas die Kamera wieder aus der Tasche.«
»Warum muss ausgerechnet ich dich verdreschen?«
»Weil du von uns am wütendsten bist. Dann ist es glaubhaft.«
»Aber …«
Da wir keine weitere Zeit für Diskussionen haben, packe ich Flo einfach am Kragen und werfe ihn aus der Deckung hinaus in den Vorraum.
»Ho!«, sagt Lukas, denn der Schwung war heftig. Die Männer drehen sich in unsere Richtung. Ich stürze auf Flo zu, doch der holt aus und ballert mir eine Ohrfeige auf die rechte Wange, in der aller Frust der letzten Wochen steckt. Mein Kopf klingelt. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich hebe die Arme. Flo schaut sich um und sucht nach Waffen. Da er keine findet, öffnet er seinen Rucksack, reißt seine Badehose heraus, wirft sich auf mich und stülpt sie mir über den Kopf. Ich falle hin und Flo drückt mich auf den Boden, indem er seine Knie auf meine Oberschenkel presst. Dabei versucht er, mich mit seiner Hose zu ersticken. Ich zapple und gurgle, denn er macht es viel zu gut. Wie sagt mein Vater immer? »Wehe, wenn sie losgelassen!« Ich schlage mit den Armen nach dem Zwerg mit Tobsucht, aber ich habe keine Chance. Arme, Beine, Hose – überall Flo.
»Hey!«, ruft Jürgen und nähert sich. Flo zieht die Hose von meinem Kopf und gibt mir noch eine Ohrfeige. Ich hätte ihm das nicht erlauben sollen. Robin und der Bademeister folgen Jürgen. »Aufhören, aber ganz schnell!«, befiehlt er. Im Augenwinkel sehe ich Lukas die Kamera aus Robins Tasche fischen. Hinter der Scheibe hebt Vivien fragend die Arme. Lukas gibt ihr ein Zeichen, dass wir gleich alle ganz schnell zum Ausgang rennen. Flo lässt mich los, springt auf und fetzt aus der Tür. Ich huste und rappele mich langsam auf. In meinem Kopf trällert ein Kinderchor.
»Den kenne ich doch«, sagt Robin.
»Alles klar, Junge?«, fragt Jürgen.
Ich huste.
Lukas schlendert aus dem Bad, als hätte er nichts mit mir zu tun. Ich sage: »Alles klar, nur ein kleiner Familienstreit.«
Robin zeigt aus der Tür, den Mund halb offen. »Und war das nicht eben der Junge von Sophia?«
Ich stehe auf, sehe Jürgen an und zeige auf Robins Tasche. »Wollten Sie nicht was nachsehen?«
Die Männer schauen sich an, verwirrt vom Geschehen, eine Sekunde lang im Gedankenstau. Den nutze ich, um zu entkommen. Ich renne aus dem Bad den Weg hinab zu den Parkplätzen. Nach fünfzig Metern sehe ich mich das erste Mal kurz um. Jürgen steht vor Robin, die offene Tasche in der Hand. Robin zeigt, beide Handflächen nach oben, auf den harmlosen Inhalt und macht ein Siehst-du-ich-bin-unschuldig-Gesicht. Jürgen schüttelt den Kopf. Wir springen auf unsere Räder und rasen davon.
DIE HÜTTE
Ich habe mich vertan.
Rache ist weder süß noch feurig.
Sie ist bitter.
So bitter wie eine weiße Pulverpille vom Arzt, die man aus Versehen zerbeißt.
Wir haben die Aktion zwar abgebrochen, aber wir waren bereit gewesen, Robins Leben zu zerstören. Wir haben ihn zittern sehen wie ein gejagtes Tier. Das ist auch schon eine Strafe. Und was fühlen wir wegen alldem?
Gar nichts.
Flo kam an dem Abend mit uns nach Hause, setzte sich vor den Bildschirm und holte den Streithammer raus. Wir schwiegen, während Flo wortlos die wilden Bestien zerteilte. Irgendwann sagte Vivien nachdenklich: »Ich habe mich zwar geärgert, dass ich umsonst vor Robin geschauspielert habe und euch dann auch noch hinterherfahren musste, aber wahrscheinlich war’s richtig so. Dem Bademeister habe ich gesagt, ich hätte mich vertan. Es sei ein anderer Mann gewesen, der so ähnlich aussah wie Robin. Aber den gibt’s ja auch nicht. Ich meine, was ist mit den echten Spannern? Eines Tages sagen die, die wirklich schuldig sind, vor Gericht: ›Erinnern Sie sich noch an den Fall Robin im Jahr 2012, Herr Richter? Dem hat man die Kamera auch bloß in die Tasche gesteckt!‹«
Sophia erzählten wir nichts von der Aktion. Flo hat ihr Kurse in Aqua-Thai-Chi herausgesucht, die in einem anderen Erlebnisbad stattfinden, zwanzig Kilometer weiter. Sie ging nicht. Sophia sitzt im Schneckenhaus. Spricht nicht. Immer noch.
Man kann nichts dagegen tun. Irgendwann kommt Weihnachten.
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