Finns Welt - 02 - Finn reloaded
wie ein Rehkitz strahlt.
»Ich will dieses Baumhaus fertig machen!«, ruft Heiner. »Das ist ein Spielstand, den ich abgespeichert habe. Ich habe ihn nicht gelöscht. Und was ich einmal angefangen habe, das bringe ich auch zu Ende.«
Sophia und Flo sagen nichts.
Sie schimpfen nicht.
Sie jubeln nicht.
Sie sagen einfach gar nichts. Heiner legt den Hammer ab und macht einen Schritt nach vorn. Jetzt erleuchten die Bauscheinwerfer ihn wie ein Bühnenlicht.
»Ich will bei euch sein!«, sagt er. Er hat Tränen in den Augen. Sie gluckern nicht langsam hoch, sie sind einfach da. Als wären sie schon seit Wochen vorhanden. Oder als wären sie seit seiner Abfahrt vor Sophias Haus nie mehr versiegt. »Es ist mir egal, ob als Schauspieler oder als Barkeeper oder als Bauarbeiter oder als Hausmann.« Er fleht. Er fleht richtig. Ich denke an die Texte, die wir über ihn ins Netz gestellt haben, von wegen mieser Schauspieler und so. Jetzt gerade spielt er nicht. Alles ist echt. Ich sehe das an tausend Dingen, aber vor allem am Zittern. Alles an Heiner zittert. Seine Hand, seine Lippe, seine Schultern, der ganze Körper. Und das nicht, weil es kalt ist. »Was ich mit euch beiden hatte, das war die schönste Zeit meines Lebens. Und es tut mir leid mit den Mäusen und den Kälbern und dem Grillfleisch. Hier«, er greift hinter sich und nimmt wieder eine Schachtel vom Boden. »Ich habe Rezepte gelernt, die ganze Zeit über, abends nach den Auftritten. Vegetarische Rezepte. Ich habe sie alle mitgebracht. Ganz ohne Schleife und Kitsch und alles. Ich esse keine Tiere mehr! Hier sind die Blätter in der Schachtel. Sie sind ganz verschmiert, weil beim Kochen Öl draufgespritzt ist.«
Sophia legt ganz sanft den Kopf schief.
Flo atmet kaum hörbar aus.
Heiner meint jedes Wort, wie er es sagt.
»Sagt mir, ich soll hier draußen wohnen, im Garten, in der Kälte. Den ganzen Winter lang, zur Strafe. Mir egal! Mache ich! Sagt mir, ich soll jeden Tag vegetarische Schnitzel formen und zwar aus Soja, das ich selbst auf dem Feld anbaue. Ich mache es! Ich bringe jedes Tier im Glas nach draußen, sogar Flöhe.«
Flo fällt ein leises Kichern aus dem Mund. Sophia macht einen Schritt aus der Tür auf die Terrasse. Heiner geht auf sie zu. »Ich gründe einen Mäuseschutzverein, wenn ihr wollt. Wir gehen jedes Wochenende zelten.« Er hat Sophia erreicht und sie betrachtet ihn, halb da, halb abwesend, wie eine Außerirdische ihren ersten Menschen betrachtet. Dann berührt sie seine Wange, aber nicht als Lob, sondern so, als müsste sie ihn abtasten. Prüfen, ob da ein echter Heiner drin ist.
»Ich kann überall Schauspieler sein«, sagt er, »und wenn es nur an der Dorfbühne ist. Ich will einfach nur bei euch sein. Nur bei euch beiden sein.«
Sophia scannt ihn weiter mit ihren Augen. Sein Gesicht, seinen Hals, seine Brust. Ihre Augen tanzen auf und ab. Sie röntgt jeden Zentimeter.
»Was ist mit München?«, fragt sie.
»Ich habe gekündigt. Kein Notausgang in der Tasche.«
Flo schluckt. Ich sehe ihm an, dass er wieder so weit ist wie damals, als Heiner mit der Reisetasche vorfuhr. Flo will, dass seine Mutter zustimmt. Er denkt ans Baumhaus, an den Wald, an das Leben, das in Heiner steckt. Wie ich. Er hat nicht mehr viel Zeit für eine Kindheit mit Vater.
Jetzt kommt es ganz auf Sophia an. Wenn sie Heiner nun ins Haus lässt, muss sie ihm eine echte Chance geben. Ob sie das Fass, das immer sofort überläuft, wenn ein Mann Fehler macht, innerlich schon ausgekippt hat? Das erste Mal?
»Flo«, sagt Sophia.
»Ja, Mama?«
»Habt ihr noch diese Punkteskala im Kopf? Die ihr für Männer gemacht habt?«
»Sicher.«
»Was war noch gleich die mögliche Höchstpunktzahl?«
»Vierzig.«
Sophia hebt ihren schmalen Zeigefinger und tippt Heiner damit bei jeder Silbe jeden Wortes auf die Brust: »Du hast drei Monate Bewährungszeit, mein Lieber. Mein Sohn zählt mit. Er räumt keine Socken für dich weg. Er klappt keinen Klodeckel runter. Er protokolliert. Das kann er gut. Du musst in den drei Monaten nicht weniger als 30 Punkte erreichen, aber auch nicht mehr als 35. Okay? Ich will nämlich einen echten Mann und keinen erschwindelten Highscore.«
Heiner schluchzt vor Freude. Er hat wieder eine Quest. Und dieses Mal meint der Auftraggeber es gut mit ihm.
DER STOLZ
Heiligabend feiern wir bei Sophia. Heiner hat zwei große Heizpilze auf die Terrasse gestellt, Glühwein gemacht und Stollen selbst gebacken. Er hat absichtlich »aus Versehen« normale
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