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Finster

Titel: Finster Kostenlos Bücher Online Lesen
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befanden sich Glasvitrinen, in denen kleine Clownspuppen, Zirkusposter, alte Zeitungsartikel und Clownsausrüstung wie Perücken, Gumminasen, große Latschen und sackartige Hosen ausgestellt waren. Ich ging schnell an den Vitrinen vorbei, leuchtete durch das Glas und war fasziniert von meiner seltsamen Entdeckung.
    Die meisten vergilbten Zeitungsausschnitte beschäftigten sich mit Clement O’Toole, der einen Clown namens Sunny Boy dargestellt hatte. Auf keinem der Bilder im Flur war Sunny Boy porträtiert. Er war ein großer, dicker Clown mit Strohhut und weitem Overall und erinnerte an einen überdimensionierten Tom Sawyer. Seine Nase war
wie üblich riesig und rot, aber auf seinem weiß geschminkten Gesicht waren die Augen und der Mund von gelben Strahlen umkränzt - die Sonnenstrahlen, auf die sich vermutlich sein Künstlername bezog.
    Die Ausschnitte stammten aus den fünfziger bis achtziger Jahren. Ich traute mich nicht, stehen zu bleiben und sie zu lesen, nur auf Überschriften und Daten warf ich einen Blick. Clement musste ein richtiger Star gewesen sein. Aber 1988 war er bei dem Brand eines Zirkuszelts beinahe umgekommen. Er überlebte seine Verbrennungen, war aber schrecklich entstellt. Sunny Boy trat nie wieder in einem Zirkus auf.
    Clement muss mittlerweile mindestens siebzig sein, dachte ich. Wenn er noch lebt.
    Ich wollte weitergehen, richtete meine Taschenlampe aber ein weiteres Mal auf die Gliederpuppe in der Ecke des Zimmers. Sie war angezogen und geschminkt wie Clements Sunny Boy.
    Jemand hatte große Mühe und viel Geld dafür investiert.
    Sunny Boy wirkte ebenso realistisch und echt wie die Puppen eines Wachsmuseums. Nur mit seinem Gesicht schien etwas nicht zu stimmen. Ein Teil des Wachses war offenbar geschmolzen, hatte Blasen geworfen und seltsame Formen angenommen.
    Hat wohl irgendwann mal zu viel Hitze abbekommen, dachte ich. Wirklich schade. Aus der Ferne fiel es kaum auf, aber wenn man näher heranging …
    Aus der Nähe wirkten die Augen der Puppe alt und blutunterlaufen.

    Eine Gänsehaut begann, meinen Rücken hochzukriechen. Ich hielt die Lampe auf die Puppe gerichtet und ging rückwärts zur Tür. Am liebsten wäre ich herumgewirbelt und weggelaufen, aber ich hatte Angst, die Puppe aus den Augen zu lassen.
    Mach dich nicht lächerlich. Es ist nur eine Puppe. Eine sehr lebensechte Puppe.
    Im Flur ließ ich den Lichtkegel aus dem Raum gleiten und ging.
    Genug gesehen.
    Ich hatte fast das Wohnzimmer erreicht, als eine zittrige, schnarrende Stimme - wie die Stimme eines uralten Mannes - hinter mir durch den Flur hallte. »Oh, Sunny Boy, the pipes, the pipes are calling … from glen to glen, and down the mountainside …«, sang die Stimme leise.

56
    Ich rannte durch das Haus und vermied es irgendwie, gegen Möbel oder Wände zu prallen. Draußen sprang ich von der Veranda, lief zur Straße, überquerte sie und rannte weiter. Ich sprintete um eine Ecke, kreuzte eine weitere Straße, bog erneut ab und erreichte schließlich in einer Gegend mit luxuriös aussehenden Gebäuden ein zweigeschossiges Haus mit beleuchteter Veranda, aber dunklen Fenstern.
    Der Garten hinter dem Haus war eingezäunt, doch das Tor war nicht abgeschlossen. Leise ging ich hinein. Dann
schlich ich an der Hauswand entlang. Hinter dem Haus stieß ich auf einen Swimmingpool.
    Das Becken war nicht beleuchtet. Ebenso wenig wie die Terrasse und die Fenster auf der Rückseite.
    Auf der Terrasse standen ein Grill, ein Tisch mit Glasplatte und eisernen Stühlen, zwei Gartenstühle aus Aluminium und ein Liegestuhl mit einem kleinen Beistelltisch. Auf dem Tisch stand ein Glas. Ich griff danach. Es war aus dickem Plastik, und am Boden befand sich ein Rest Flüssigkeit. Wahrscheinlich geschmolzene Eiswürfel. Jemand musste hier draußen einen Cocktail getrunken haben.
    War er oder sie auch geschwommen? Für Oktoberverhältnisse war es ein warmer und sonniger Tag gewesen.
    Ich beugte mich vor und strich über die Gummibespannung des Liegestuhls. Sie war weich und kühl und trocken. Die Bespannung sank ein, als ich mich setzte. Ich klappte die Rückenlehne nach hinten und legte mich hin.
    Blasse Wolkenfetzen trieben im Mondlicht über den Himmel. Die nächtliche Brise trug den Geruch von Holzrauch aus den Kaminen mit sich.
    Schön, dachte ich.
    Ich faltete die Hände vor dem Bauch und schloss die Augen.
    Der Wind fühlte sich im Gesicht zwar kühl an, aber in meiner Jeans und meinem dicken weichen Hemd war mir angenehm warm.
    Die

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