Finster
stellte ich meine Büchertasche ab. Wir umarmten uns. Sie drückte sich an mich, und ich spürte ihre weichen Brüste. Ihre kalte Wange lag an meinem Gesicht.
»Ich hab dich so vermisst«, sagte sie.
»Ich dich auch. Ich hab dich auch vermisst.«
Sie lockerte ihre Umarmung, zog ihren Kopf zurück und küsste mich auf den Mund … eine sanfte Berührung,
um ihre aufgeplatzte Lippe zu schonen. Sie trat einen Schritt zurück und sagte: »Ich wollte nur vorbeikommen und dich sicher zu deinem Seminar geleiten.«
»Einverstanden.« Ich schulterte meine Tasche, und wir gingen los. »Irgendwas Neues?«, fragte ich.
»Gar nichts. Es ist, als wäre Mittwochnacht gar nichts passiert.«
»Hoffentlich bleibt es so.«
»Ich glaube selber schon fast, es wäre nichts passiert. Nur, dass ich die Nachwirkungen spüre. Und sie auch sehe, wenn ich in den Spiegel gucke.«
»Du siehst viel besser aus.«
»Du auch. Aber ich fühle mich immer noch katastrophal.«
»Dich hat es viel schlimmer erwischt als mich«, sagte ich und fragte mich wieder, ob sie nicht doch vergewaltigt worden war.
»Das Schlimmste war, dass wir uns gestern nicht treffen konnten. Ich hab es gehasst.«
»Ich auch.«
»Und ich bin zu der Ansicht gekommen, dass es eigentlich sinnlos war. Ich meine, was haben wir zu verbergen?«
»Einen Mord.«
»Du hast niemanden ermordet. Selbst wenn du den Mann getötet hast, war es Notwehr. Aber anscheinend gibt es gar keine Ermittlungen. Ich glaube nicht, dass sie überhaupt eine Leiche gefunden haben. Aus Sicht der Polizei ist nichts passiert. Deshalb glaub ich nicht, dass wir uns noch voneinander fernhalten müssen.«
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Wenn die Leute uns zusammen
sehen, könnten sie auf den Gedanken kommen, dass wir unsere Verletzungen gemeinsam abbekommen haben.«
»Wir haben unsere Baumgeschichten«, sagte sie. Sie lächelte zwar, aber wirkte bekümmert. Offensichtlich hatte sie damit gerechnet, dass ich ihrer neuen Erkenntnis zustimmen würde.
Ich brauchte einen Augenblick, um mich an die Baumgeschichten zu erinnern. »Ich bin gegen einen Baum gerannt, als ich ein Frisbee fangen wollte, und du bist von einem runtergefallen, als du ein Kätzchen retten wolltest?«
»Einen Drachen.«
»Ah, stimmt. Meine professionelle Meinung als Amateurschriftsteller ist, dass die Geschichten schon für sich genommen ziemlich lahm und unglaubwürdig sind. Wenn man sie zusammenführt, glaubt sie kein Mensch mehr.«
»Meinst du wirklich, das spielt eine Rolle?«
»Es könnte wichtig werden, wenn die Leiche auftaucht.«
»Vielleicht«, sagte sie. »Aber Kirkus hat uns sowieso gesehen, direkt nachdem es passiert ist. Er weiß, dass wir verprügelt wurden.«
»Er wird es nicht verraten.«
»Meinst du?«
»Wenn er glauben würde, ich hätte jemanden umgebracht, würde er mich auf keinen Fall anzeigen. Er würde vielleicht damit drohen, aber es nicht tun. Er würde sein Wissen geheim halten und versuchen, mich damit zu manipulieren.«
Sie lächelte. »Meinst du wirklich?«
»Ziemlich sicher.«
»Warum zum Teufel sollte er das tun?«
»Er ist scharf auf mich.«
»Puh!«, stieß sie aus und lachte. Dann sagte sie: »Du bist schrecklich.«
»Ja, vielleicht, aber ich glaub, ich habe Recht. Er achtet darauf, dass er es nicht zu sehr zeigt …«
»Du meinst, er tarnt es durch offene Feindseligkeit?«, schlug Eileen vor und nickte mir grinsend zu.
»Genau.«
»So hab ich das noch nie gesehen. Ich habe ihn immer nur als aufgeblasene Nervensäge betrachtet, aber es könnte sein, dass du Recht hast.«
»Wenn es so ist, brauchen wir uns wahrscheinlich keine Sorgen zu machen, dass er der Polizei einen Tipp gibt.«
»Außer vielleicht in einem eifersüchtigen Wutanfall.«
»Nein.«
»Oder wenn sein Pflichtbewusstsein als braver Bürger das Verlangen nach dir überwiegt.«
»Kann ich mir nicht vorstellen.«
»Jedenfalls spielt es keine Rolle«, sagte Eileen, »da es keine Leiche und keine Ermittlungen gibt.«
»Noch nicht«, bemerkte ich.
»Ich glaube auch nicht, dass das geschehen wird. Diese widerlichen Typen unter der Brücke müssen irgendwas gemacht haben … die Leiche versteckt … oder begraben.«
»Oder sie haben sie komplett verschlungen«, warf ich ein.
»Bis auf die Knochen.«
»Vielleicht sogar die. Hunde fressen Knochen auch völlig auf.«
»Bäh.«
Als wir uns dem Campus näherten, füllten sich die Straßen und Bürgersteige mit Studenten und Lehrkräften. Ich kannte die meisten von
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