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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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an, als schulde er ihr eine sofortige und überzeugende Erklärung.
    «Wir sind wegen Ihrer Ehe hier. Es gibt da eine kleine, äh, Unregelmäßigkeit.»
    «Wirklich? Das werden Sie beim Standesamt überprüfen müssen, nicht bei mir.»
    «Personenstandsregister, Mrs. Michaels. Es ist wichtig, sich genau auszudrücken. Lassen Sie mich also genau sein. David Michaels stellte fest, daß das zuständige Amt für die Einwohner von Wytham in Abingdon ist. Er ging hin und beantwortete all die üblichen Fragen, wann und wo Sie heiraten wollten, wie alt Sie beide sind, wo Sie beide geboren sind, ob einer von Ihnen schon einmal verheiratet war, ob Sie miteinander verwandt seien. Und das war’s. Zwei Tage später waren Sie verheiratet.»
    «Und?»
    «Nun, bei diesen Dingen hängt alles von Vertrauen ab. Wenn Sie wollen, können Sie einen Haufen Lügen erzählen. Es gibt einen Standesbeamten in Oxford, der den gleichen Burschen dreimal in einem Jahr verheiratete — und einen in Reading, der es fertigbrachte, zwei Seeleute miteinander zu verheiraten!»
    Morse schaute zu ihr hinüber, als erwarte er irgendeine Art von Lächeln, aber Mrs. Michaels saß vollkommen still da, die Lippen zusammengepreßt, das Haar über der klaren Haut in einem Halbkreis von dunkelstem Schwarz, da die blonden Wurzeln vor kurzer Zeit nachgefärbt worden waren.
    «Nehmen Sie einen einigermaßen geschickten Lügner — selbst einen ziemlich unbeholfenen Lügner», fuhr Morse fort, «und er wird mit Mord ungestraft davonkommen — wenn Sie verstehen, was ich meine, Mrs. Michaels. Für jeden unter dreiundzwanzig ist zum Beispiel ein Nachweis seines Alters erforderlich, wußten Sie das? Aber wenn Ihr Verlobter sagt, Sie seien vier undzwanzig, wird er mit großer Wahrscheinlichkeit davonkommen. Und wenn Sie vorher verheiratet waren? Nun, wenn Sie sagen, Sie waren es nicht, ist es praktisch unmöglich, auf der Stelle zu beweisen, daß Sie es doch waren. O ja! Es ist leicht, sich standesamtlich trauen zu lassen, wenn man bereit ist, das System zu mißbrauchen.»
    «Sie wollen sagen, daß ich — daß wir, David und ich — daß wir das System mißbraucht haben?»
    «Wissen Sie, die meisten Engländer hätten das etwas anders ausgedrückt, Mrs. Michaels.» (WPC Wright registrierte die leichte Betonung des Wortes .)
    «Ich fragte Sie...»
    Aber Morse unterbrach sie brüsk: «Es gab nur eine Sache in Ihrem Fall, die nicht manipuliert werden konnte: das Geburtsdatum. Da wird vom Gesetzgeber nämlich irgendein dokumentarischer Nachweis verlangt — wenn die betreffende Person ausländischer Staatsbürger ist .»
    Schweigen breitete sich in dem kleinen Zimmer aus, ein greifbares, angespanntes Schweigen, und ein seltsamer, undefinierbarer Ausdruck huschte über Mrs. Michaels’ Gesicht, während sie ein Bein über das andere schlug und die Hände um ihr linkes Knie faltete.
    «Was hat das mit mir zu tun?» fragte sie.
    «Sie sind ein ausländischer Staatsbürger», sagte Morse einfach und sah das schöne Mädchen ihm gegenüber ungerührt an.
    «Ist Ihnen klar, wie absurd das alles ist, Inspector?»
    «Mußten Sie dem Standesbeamten in Abingdon Ihren Paß zeigen?»
    «Es bestand keine Veranlassung dazu: Ich bin kein ausländischer Staatsbürger!»
    «Nein?»
    « Nein! Ich heiße — hieß Katarina Adams. Ich bin in Uppingham in Rutland geboren — was einmal Rutland war; ich bin vierundzwanzig Jahre alt...»
    «Kann ich Ihren Paß mal sehen?» fragte Morse leise.
    «Das können Sie leider nicht. Er ist per Post auf dem Weg nach Swansea; er muß erneuert werden. Wir — ich und David — wollen im September nach Italien.» (Lewis hörte jetzt die Andeutung eines Akzents, in dem Wort»Italien».)
    «Machen Sie sich keine Gedanken! Wir haben schon eine Kopie, müssen Sie wissen. Die Schwedische Botschaft hat uns eine geschickt.»
    Eine Weile blickte sie hinunter auf den Teppich, dem einzigen wertvollen Stück in dem recht nüchternen Wohnzimmer, in dem sie so viele Stunden ihrer Tage verbrachte: ein kleiner rechteckiger Orientteppich, geknüpft vielleicht in irgendeinem obskuren Zelt in Turkestan. Dann stand Mrs. Michaels auf, ging hinüber zu einem Schreibtisch, nahm ihren Paß heraus und händigte ihn Morse aus.
    Aber Morse wußte schon alles, hatte die Eintragungen sorgfältig studiert: die Überschriften, gedruckt in Schwedisch und in Englisch, die erforderlichen Einzelheiten handschriftlich in Schwedisch eingetragen. Unter dem Foto las er noch

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