Finstere Gründe
und sie wollte einen möglichst guten Eindruck machen. In der Mitte der ersten Seite ihres Berichts stand ein Wort, bei dem sie Zweifel hatte, und als sie ein Chambers Dictionary auf Max’ Regalen entdeckte, schlug sie es rasch nach.
Im Thames Valleypräsidium informierte sich an jenem Nachmittag ein anderer Berichtschreiber im Pocket Oxford Dictionary. Orthographische Unregelmäßigkeiten waren nicht ungewöhnlich in Lewis’ Berichten, aber er machte ständig Fortschritte, und er war (wie sein Chief) sehr zufrieden mit dem Leben, als er die ausführlichen Notizen, die er bei seinen Recherchen in Schweden gemacht hatte, in Reinschrift übertrug.
Um 16 Uhr klopfte Mrs. Irma Eriksson leicht an die Tür des Zimmers von ihrer Tochter und brachte ein Tablett mit einem gekochten Ei und zwei Scheiben gebutterten Toast hinein. Es war eine schwere Grippe gewesen, aber jetzt fühlte die Patientin sich wesentlich besser und sehr viel entspannter.
Und das tat ihre Mutter auch.
Um 18.45 Uhr fand die erste — jedenfalls die erste ernstzunehmende — Probe für den Mikado statt. Es war wirklich erstaunlich, wie viele lokale Talente es immer gab, und noch erstaunlicher, wie bereitwillig, fast eifrig, diese lokalen Talente einen so großen Teil ihrer Zeit dem Amateurtheater widmeten und sich den (in diesem Fall) manchmal recht absurden Forderungen eines Regisseurs aussetzten, der glaubte, er wisse — und tatsächlich wußte —, wie man das Publikum anlockte, lobende Kritiken in der Lokalpresse erwirkte, den talentierteren Sängern die anspruchsvolleren Rollen gab und vor allem die kleinen Kabbeleien und Eifersüchteleien glättete, die beinahe zwangsläufig bei einem solchen Unternehmen entstehen.
Drei Stunden, hatte seine Frau gesagt — etwa drei Stunden, und David Michaels wartete seit zi.3oUhr vor der Dorfhalle. Es war gar nicht so weit weg von zu Hause — den Weg hinunter, am Pub vorbei und dann wieder hinauf auf der Straße, die in den Wald führte — etwas über eine Meile, genau gesagt, aber jetzt wurde es richtig dunkel, und er würde mit seiner wunderschönen und begabten Frau kein Risiko eingehen. Bei der Revue letzte Weihnacht war sie nur ein Mitglied der Tanzgruppe gewesen, aber alle waren übereingekommen, daß bei der nächsten Vorführung eine größere Rolle absolut gerechtfertigt sei. Man hatte sie also Vorsingen lassen, und jetzt war sie eines der drei kleinen japanischen Schulmädchen. Hübsche Rolle. Leicht zu lernen.
Um 22.10 Uhr tauchte sie endlich auf, und Michaels fuhr etwas ungehalten sofort zum White Hart.
«Das Übliche?» fragte er, während sie auf einen Barhocker kletterte.
«Ja, bitte.»
Michaels bestellte also eine Halbe vom besten Bitter für sich und jene Mixtur aus Orangensaft und Limonade, die genannt wird, für seine Frau.
Eine Stunde später, als er den Landrover zurück zum Cottage fuhr, griff er neben dem Schaltknüppel nach der Hand seiner Frau und drückte sie. Aber sie war bisher sehr schweigsam gewesen und blieb es auch jetzt, während sie mit dem Libretto unter dem Arm ausstieg und die Beifahrertür hinter sich abschloß.
«Wird es was werden?» fragte er.
«Wird was was werden?»
«Was glaubst du, meine ich? Den Mickadu !»
«Ich hoffe es. Du wirst jedenfalls deine Freude an mir haben.»
Michaels schloß die Tür an seiner Seite ab. «Ich möchte jetzt meine Freude an dir haben.»
Sie ergriff seine Hand, während sie auf die vordere Veranda zugingen.
«Heute nacht nicht, David. Ich bin so schrecklich müde — versteh das bitte.»
Zu dieser Zeit war auch Morse auf dem Nachhauseweg. Er hatte zuviel Bier getrunken, das war ihm klar, aber zumindest hatte er alles getan, um diesen Tag zu feiern. Das sagte er sich jedenfalls, als er durch die Straßen ging, mit nur gelegentlich leicht wackligen Beinen, wie ein etwas unsicherer Seiltänzer.
Dr. Alan Hardinge beschloß an diesem Montag abend, im College zu bleiben, wo er zu früherer Stunde eine gut einstudierte Vorlesung über gehalten hatte. Seine weitgehend amerikanische Zuhörerschaft hatte ihn mit großzügigem Beifall bedacht, und er (wie andere an diesem Abend) hatte zuviel getrunken — zuviel Wein getrunken, zu viele Liköre. Als er um
23.30 Uhr seine Frau anrief, um ihr zu sagen, daß es wohl besser sei, wenn er im College übernachten würde, hatte sie nicht das mindeste dagegen gehabt.
Weder Michaels noch Morse noch Hardinge war es bestimmt,
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