Finstere Gründe
erregt. Es war jetzt iz.15 Uhr.
«Nein. Heute nehme ich meine Kalorien in flüssiger Form zu mir.»
«Na ja, ich denke, ich hole mir...»
«Hier!» Morse holte die kostbare Zwanzigpfundnote aus seiner Brieftasche. «Aber flippen Sie nicht gleich aus! Holen Sie sich ein Käsebrot oder so etwas — und noch eine Halbe für mich.» Er schob sein Glas über den etwas wackligen Tisch. «Und besorgen Sie einen Bierdeckel oder so was und legen ihn unter eines dieser Beine.»
Während Lewis an der Bar stand, schaute er für Sekunden zurück zu seinem Chief. Mehrere andere Gäste saßen jetzt in dem Pub, und ein junger Mann sah fast peinlich glückselig aus, als er einem Mädchen neben ihm, das eine Brille trug und nicht besonders hübsch war, in die Augen blickte. Er sah, entschied Lewis, fast so glücklich wie Chief Inspector Morse aus.
Kapitel fünfundvierzig
Seine Alkoholsucht veranlaßte mich eine Zeitlang, Aspern Williams zu kritisieren, bis ich erkannte, daß Räder Öl brauchen, wenn sie nicht auf Nylonachsen laufen. Er konnte Stillstehen und ohne Öl auskommen oder sich bewegen — wenn er den Widerstand überwinden konnte
(Peter Champkin,
The Waking Life of Aspern Williams)
Nachdem Dr. Laura Hobson ihre Untersuchung der Wytham-Knochen wiederaufgenommen hatte, begann sie damit, in ihrem Labor den Bericht zu schreiben. Es war eigentlich keine Wiederaufnahme, denn die Knochen hatten sie über das Wochenende kaum verlassen. Schon sehr früh hatte sie die leichte Furche in der linken unteren Rippe entdeckt. Es konnte sich natürlich um die Kerbe handeln, die der Zahn eines Nagetiers hinterlassen hatte, aber sie sah so charakteristisch aus, die schwach V-förmige Stelle. Es sah fast so aus, als habe jemand absichtlich eine Kerbe in die Rippe gemacht — mit einem Messer oder einem ähnlichen Instrument. Könnte es wichtig sein? Aber nein, das war die falsche Einstellung. Es könnte wichtig sein — kein Fragezeichen. Seltsamerweise war Laura sehr bestrebt, bei ihrer ersten selbständigen Untersuchung ein paar Punkte zu sammeln — wie bei den Pfadfindern. Auf jeden Fall würde sie sich gern ein wenig bei dem ungewöhnlichen Polizisten einschmeicheln, der in den letzten Tagen ihre Gedanken beherrscht hatte. Es war merkwürdig, wie man die Gedanken an einen Menschen nicht aus dem Bewußtsein verbannen konnte, wie sehr man sich auch bemühte...
Sie studierte noch einmal die Fotografien vom Tatort, und sie konnte ohne Schwierigkeiten den Knochen erkennen, der sie im Augenblick beschäftigte. Er hatte offensichtlich in situ gelegen — war nicht weggeschleppt worden wie so viele andere. Sie war sich ziemlich sicher, daß die Kerbe, die ihre geduldige Untersuchung enthüllt hatte, wahrscheinlich nicht von dem Zahn irgendeines Tiers verursacht worden war, das sich einen Bissen von den noch mit Fleisch bedeckten Knochen gerissen hatte. Konnte die Furche von einem Messer hervorgerufen worden sein, fragte sie sich; schließlich ging es um einen Mord. Wenn es also nicht die Füchse oder die Dachse oder die Vögel gewesen waren... Wieder stellte sie das scharfe Mikroskop auf die Oberfläche des Rippenknochens ein, aber sie wußte, daß es hier nie eindeutige forensische Feststellungen geben konnte. Das Äußerste, was sie in ihrem Bericht sagen würde, war, daß die deutliche schräge Furche auf dem untersten linken Rippenknochen möglicherweise von einem Schneidezahn verursacht worden sei, oder, was wahrscheinlicher war, von einem scharfen Instrument — zum Beispiel einem Messer. Und wenn es ein Messer war, von dem der untere Teil der Brust durchstochen wurde, konnte das durchaus die Todesursache sein — war es wahrscheinlich die Todesursache. Es würde viel Blut gelaufen sein; die Kleider (falls es welche gab?) wären von Blut durchtränkt worden, das dann in den Boden unter dem Körper gesickert wäre, und nicht einmal die Wintermonate, nicht einmal das Laub und der Abfall vom Wachstum rundum würden solche Spuren je völlig auslöschen. Diesem Aspekt jedoch wurde in der University Agricultural Research Station nachgegangen (die zufällig in Wytham untergebracht war), und zweifellos würde sie bald von dort hören. Ja und? Selbst wenn dort deutliche Spuren von Blut gefunden würden, hätte bestenfalls sie eine Blutgruppe, und Morse würde davon ausgehen können, daß das Opfer in situ ermordet worden war. Toll.
Morse! Sie hatte gehört, daß er etwas pedantisch sei, was Rechtschreibung und Zeichensetzung betraf,
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