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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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chinesischem und indischem Tee wählen mußte, hätte er auch gut auf den großen Plastikbecher schwach aussehenden, lauwarmen Tees verzichten können, den er sich aus der Gemeinschafts-Teemaschine in der praktisch verlassenen Kantine des YWCA-Gebäudes einschenkte. Eine Weile lang schwatzten sie freundlich, wenn auch ziellos miteinander: Morse fand heraus, daß Mrs. Audrey Morris einen Waliser geheiratet hatte, noch immer mit demselben Waliser verheiratet war, keine Kinder hatte, nur die eine Schwester — die in Oxford — und, nun, das wär’s. Sie sei als Sozialarbeiterin im East End ausgebildet worden und hatte die Stelle als Leiterin der YWCA vor vier Jahren angenommen. Ihre Aufgabe gefiel ihr, aber die Situation in London wurde allmählich hoffnungslos. Sicher, die Herberge mochte zwei Stufen besser als die Situation der Pappkarton-Brigade sein, aber all die alten Kategorien verschmolzen jetzt in einer Art Gemeinschaftselend. Frauen, deren Behausungen wieder von den Besitzern beansprucht worden waren, Ehefrauen, die zusammengeschlagen worden waren, junge Mädchen, die arbeitslos oder leichtsinnig gewesen waren oder ohne einen Penny dastanden — gewöhnlich alles auf einmal, Zugvögel, Drogensüchtige, potentielle Selbstmörderinnen, und natürlich ziemlich häufig ausländische Studentinnen, die sich mit ihrem Geld verkalkuliert hatten — Studentinnen wie Miss Karin Eriksson.
    Morse ging noch einmal die wichtigsten Punkte ihrer Aussage vom letzten Sommer durch, aber es schien nichts zu geben, was sie hätte hinzufügen können. Wir ihre jüngere Schwester hatte sie beachtliches Übergewicht und ein rundliches, attraktives Gesicht, und ihr Lächeln schien arglos und hilfsbereit. Morse entschied, daß er seine Zeit verschwende, und suchte nach Antworten auf andere Fragen: Fragen, wie Karin sei , wie sie sich benommen habe, wie sie mit den anderen ausgekommen wäre.
    Hatte Morse eine Litanei über Karins verführerischen Charme erwartet — den Charme einer jungen Dame mit vollen Brüsten unter einer tiefausgeschnittenen Bluse, einem fast unziemlich kurzen, enganliegenden Rock, die langen, gebräunten Beine herausfordernd übereinandergeschlagen, während sie an ihrer Diät-Cola nippte... oder an einem Cognac? Wohl nur halb erwartet, denn sein Wissen über Karin wuchs allmählich an, wuchs jetzt wieder, als Mrs. Morris sich sehr freundlich an ein Mädchen erinnerte, das immer die Blicke der Männer auf sich ziehen würde, das sich seiner Anziehungskraft durchaus bewußt war und das offensichtlich die Aufmerksamkeit genoß, die es immer erregte. Aber ob sie zu jenen jungen Frauen gehörte, die unter Anwendung von ein wenig Druck schnell — oder auch langsam — die Beine öffnen würde — nun, da hatte Audrey wesentlich größere Zweifel. Karin habe den Eindruck erweckt, sie habe sich selbst und andere ganz schön unter Kontrolle. O ja!
    «Aber sie könnte — sie könnte Männer vielleicht ein wenig an der Nase herumführen?» fragte Morse.
    «Ja.»
    «Aber vielleicht...» Morse hatte Schwierigkeiten, sich auszudrücken — «nicht viel weiter gehen?»
    «Nicht viel weiter als was?»
    «Was ich meine — nun, wir hatten einen Ausdruck für solche Mädchen, als ich zur Schule ging.»
    «Ja?»
    «Ja.»
    «Die Jungs ? Ist das der Ausdruck, nach dem Sie suchen?»
    «So ähnlich», sagte Morse und lächelte etwas verlegen, während er aufstand und sich anschickte zu gehen, genauso, wie Karin Eriksson sich erhoben und dieses Gebäude verlassen haben mußte, mit zehn Pfund in der Tasche und der festen Absicht (wenn man Mrs. Morris glauben konnte), per Anhalter nicht nur nach Oxford, sondern viel weiter über die A 40 zu fahren, nach Llandovery, der Heimat des roten Milans.
    Audrey Morris brachte ihn an die Tür und sah ihm nach, wie er rasch auf die Untergrundbahnstation King’s Cross zuging; dann kehrte sie in ihr Büro zurück und rief ihre Schwester in Oxford an.
    «Ich hatte gerade deinen Inspector hier!»
    «Kein Ärger, hoffe ich?»
    «Nein! Ziemlich attraktiv, nicht?»
    «Findest du?»
    «Nun hör mal! Das hast du doch gesagt.»
    «Hast du ihm ein Glas von dem Malt angeboten?»
    «Was?»
    «Du hast ihm keinen Drink angeboten?»
    «Es ist doch gerade erst vier.»
    «A-u-d-r-e-y!»
    «Wie sollte ich das wissen?»
    «Hast du seinen Atem nicht gerochen?»
    «So nahe bin ich ihm nicht gekommen.»
    «Du hast das nicht besonders gut hingekriegt, Schwesterchen, oder?»
    «Lach bitte nicht, aber... ich

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