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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Lewis anhielt und hinüber zum Steincottage schaute, wo Michaels wohnte.
    «Wir haben Glück, Sir.» Lewis drehte seine Scheibe hinunter und zeigte auf den Förster, der ein Gewehr unter dem rechten Arm trug, den Lauf in einem Winkel von 45 Grad auf den Boden gerichtet. Der schwarzweiße Bobbie sprang ihm fröhlich schnüffelnd voran.
    «Lassen Sie den Motor wieder an, Lewis», sagte Morse sehr leise.
    «Wie bitte?»
    «Zurück zum Dorf!» zischte Morse.
    Als der Wagen an Michaels vorbeifuhr, war es Morse, der seine Scheibe hinunterdrehte.
    «Morgen, Mr. Michaels. Herrlicher Tag!»
    Aber bevor der Förster antworten konnte, war das Auto schon weitergefahren, und im Rückspiegel sah Lewis Michaels hinter ihnen herstarren, einen ziemlich verwirrten Ausdruck im Gesicht.
    Sie waren fast die ersten Kunden im White Hart, und Morse bestellte eine Halbe vom besten Bitter für sich selbst.
    «Was würden Sie vorziehen, Sir? Wir haben...»
    «Was die Einheimischen trinken.»
    «Gerades Glas oder mit Henkel?»
    «Gerades. Optische Täuschung, ich weiß, aber es sieht immer so aus, als wäre mehr drin.»
    «Beide haben genau...»
    Aber Morse hatte sich zu Lewis gewandt: «Sie trinken besser nicht zuviel. Denken Sie dran, daß Sie fahren.»
    «Orangensaft, in Ordnung, Sir.»
    «Und, äh...» Morse fischte in seinen Hosentaschen. «Ich habe offenbar kein Kleingeld dabei. Ich bin sicher, daß der Wirt nicht schon so früh am Tag eine Zwanzigpfundnote wechseln will.»
    «Reichlich Wechselgeld...» setzte der Wirt an, aber Morse hatte sich mit seinem Glas zur Wand begeben und studierte eine mittelalterliche Karte von den alten Gemeinden rund um Wytham...

    Zu der Zeit, da Morse seine erste Halbe hob, stand Alasdair McBryde an der Rezeption des Prince William-Hotels in der Spring Street, gerade gegenüber dem Bahnhof Paddington. Nachdem er Oxford verlassen hatte — mit welch einem Ausbruch geistiger und physischer Energie! — , war er mit dem schnell und chaotisch beladenen Lieferwagen über die M20 nach London gefahren, wo er den Wagen in einer Mietgarage in der Nähe der Seven Sisters Road abgestellt hatte, bevor er mit einem Koffer mit der Untergrundbahn nach Paddington fuhr — ins Prince William. Es hob sein Selbstvertrauen beträchtlich, daß er, falls erforderlich, innerhalb einer Minute nach Verlassen des Hotels vor der Ankunft/Abfahrt-Tafel des Bahnhofs stehen konnte — notfalls auch aus dem Hotel hinaus springen, denn das einzige Fenster seines Zimmers en suite lag nicht mehr als sechs Fuß über dem Gehweg.
    Der Hotelbesitzer war ein kleiner, ständig schlechtrasierter Italiener, der die Hälfte seiner Arbeitszeit an der Rezeption damit verbrachte, die Rennen in der Sporting Life zu studieren. Er schaute auf, als McBryde seine Brieftasche hervorholte.
    «Sie bleiben noch einen Tag, Mr. Mac?»
    «Mc» war das einzige, war er von dem unleserlichen Gekritzel auf der Anmeldung hatte entziffern können. Und es gab keine maschinengeschriebenen Namen auf irgendwelchen Schecks — nur die beiden unzerknitterten Zwanzigpfundscheine, die er jeden Morgen für die folgende Nacht und das Frühstück erhielt, mit der täglich wiederholten Aufforderung: «Geben Sie das Wechselgeld dem Frühstücksmädchen.» Kein besonders großzügiges Trinkgeld; Übernachtung und Frühstück kosteten 39.50 Pfund.
    Bald studierte Luigi Bertolese wieder die Namen der Rennpferde, die um 14 Uhr im Sandown Park starteten, und besonders die Angaben zu einem Pferd, das hieß und ganz gut in Form sein sollte. Er schaute hinunter auf einen der Zwanziger und fragte sich, ob der Allmächtige ihm einen Tip ins Ohr geflüstert hatte.

    «Sehen Sie also, alter Freund? Sehen Sie?» Morse strahlte über das ganze Gesicht, während er seine zweite Halbe leerte. «Es war alles Ihnen zu verdanken. Wieder einmal!»
    Lewis sah wirklich; ausnahmsweise sah er völlig klar. Und das war für ihn die Freude, mit dem merkwürdigen Mann, der Morse hieß, zusammenzuarbeiten; einem Mann, der irgendwie fähig war, sich aus den einengenden Umständen eines Verbrechens herauszuwinden und dieses Verbrechen von einem Punkt außerhalb des Geschehens zu betrachten. Es war einfach nicht fair! Aber Lewis war sehr stolz, daß er, mit all seinen Grenzen, manchmal (so wie jetzt) der Katalysator in der seltsamen chemischen Zusammensetzung von Morses Vorstellungen sein konnte.
    «Wollen Sie etwas essen, Sir?»
    Morse hatte etwa eine halbe Stunde gesprochen, leise, ernsthaft,

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