Finstere Propheziung
diesem Moment sah Dave ihr direkt in die Augen und mit einem Mal war Cam alles klar. Ihre Mutter hatte irgendwas von Innenausstattung geschwafelt, aber Spaß beiseite: Ihr Dad wusste, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. »Jetzt kommt mir diese Frage total blödsinnig vor ... « Emily lächelte breit. »Ein berühmter Journalist hat einmal gesagt: >Es gibt keine dummen Fragen. Nur dumme Antworten«
»Bin ich adoptiert?« Na bitte, jetzt war es raus.
Ihre Worte standen im Raum wie drei kleine Waisen, schwebten über ihren Köpfen ohne irgendetwas, woran sie sich festhalten konnten. Emily Barnes erblasste. David Barnes' Mund stand offen.
Keiner von beiden sagte etwas. Das einzige Geräusch im Zimmer war das Knallen, mit dem Emilys Buch auf den Parkettboden schlug. Und erst in dem Moment, in dem ihr Blick auf den Einband des Buches fiel, verlor Cam die Beherrschung. Über der Darstellung zweier identischer Kinder im Mutterleib stand der Titel: Dies ist meine Wahrheit. Cams Wahrheit sah momentan folgendermaßen aus: Ihr ganzes Leben war eine einzige große Lüge.
Kapitel 15 - DER ABSCHIED
Alex war wie betäubt.
Lucinda ging vorn um den Lieferwagen herum, um ihr die Tür zu öffnen. Evan eilte herbei, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein.
Ein seltsames Gefühl ein Kleid zu tragen, dachte sie, als sie Evans Hand nahm und aus dem Wagen stieg. Der Boden unter ihren neuen Schuhen war trocken. Er wirkte hart wie Stein. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie da ein Loch gegraben werden sollte. Dann blickte sie auf und sah, dass es schon fertig war.
Dort drüben gähnte ein sauberes Loch in der steinharten, roten Erde. Daneben war ihre Mutter. Der Sarg, den Alex bestellt hatte, sah genauso billig aus, wie er auch war, dachte sie. » Siehst du« , flüsterte Luce und drückte Alex' andere Hand ermutigend. »Es sind viele Menschen gekommen.« Das stimmte, Alex sah es, während sie zur Grabstätte hinüberging. Viel mehr, als sie erwartet hatte. Arbeitskollegen ihrer Mom aus dem Waschsalon und der Imbissbude waren erschienen. Obschon ihnen wahrscheinlich eine Menge Geld durch die Lappen gehen würde, weil sie sich freigenommen hatten, vermutete Alex. Mrs Bass, die Bibliothekarin, war hier. Und Mrs Medgers, Alex' Englischlehrerin. Und Andy Yatz und einige andere Kids aus der Schule, was Alex irgendwie überraschte. Selbst Hardy Beeson, der Vermieter, hatte es geschafft, zur Beerdigung zu kommen. Sie hatte so darauf gehofft, dass es noch ein bisschen dauern würde, bevor der König des Wellblech-Slums herausfand, dass ihre Mutter ... nicht mehr da war. Pech gehabt. Es waren sogar einige völlig Fremde zum Begräbnis erschienen. Nun ja, zumindest Leute, die Alex nicht wiedererkannte. Außer einem. Der weißhaarige Arzt mit dem elektrisierenden Arm war aufgetaucht. Mit seinem schwarzen Samtmantel und den merkwürdigen Schuhen passte er nicht so recht zum Rest der Umgebung. Aber es war natürlich nett von ihm, dass er gekommen war.
Die Ansprache war kurz. Nachdem der schäbige Sarg aus unbehandelter Kiefer ins Grab gesenkt worden war, warf Alex die Rose darauf, die Evan ihr gegeben hatte. Dann wandte sie sich rasch ab. Die Totengräber warteten mit ihren Spaten in der Nähe. Alex wollte nicht mit ansehen müssen, wie sie ihre Arbeit begannen. Während sie im Schatten eines Baumes stand, kamen ständig Menschen zu ihr herüber. Sie nickte den meisten von ihnen zu. Andy Yatz gab ihr einen Strauß Blumen, die er wahrscheinlich in irgendeinem Garten geklaut hatte. Aber Alex war dankbar. So hatte sie wenigstens etwas, woran sie sich festhalten konnte. »Wir werden sie alle vermissen« , sagte Mrs Bass und streckte den Arm aus, um Alex über die Haare zu streichen. Alex duckte sich. Es war keine Absicht und sie war erleichtert, dass Mrs Bass es ihr offenbar nicht übel nahm.
»Ich komme später mit etwas zu Essen vorbei. Du musst was in den Bauch kriegen« , sagte die Bibliothekarin. Alex erwiderte: »Danke schön.« Danke schön war das, was sie pausenlos wiederholte. Etwas anderes fiel ihr nicht ein. Sie murmelte »Danke schön«, gab Leuten die Hand und hörte nicht auf zu nicken, als ob sie tatsächlich verstehen könnte, was die Leute ihr erzählten, als ob es ihr nicht völlig egal wäre. »Na, wir sprechen uns demnächst«, drohte Hardy Beeson. »Deine Mama, Gott habe sie selig, war mir noch eine Stange Geld schuldig, weißt du.«
Schließlich, nachdem alle an ihr vorbeimarschiert waren, ihr Beileid ausgesprochen
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