Finstere Propheziung
drückte auf SEND, lehnte sich zurück und wurde von Reue übermannt. Was für ein Volltrottel erzählte irgendeiner dahergelaufenen Tussi so was Privates, veröffentlichte einen Hilferuf im Internet ? Bah. Sie hätte mit »Cyber-Kumpel« unterschreiben sollen. Mit hängenden Schultern, den Kopf in die Hände gelegt, saß Alex ein paar Minuten lang reglos da und schämte sich zutiefst. Dann, gerade als sie ihren Stuhl zurückschob, gab der Computer ein klingelndes Geräusch von sich und auf dem Bildschirm blinkte das Wort
DIREKTKONTAKT!
Hey, hier ist Cam. Ich glaub's ja nicht. Ich habe gerade an dich gedacht!
Alex' Herz tat vor Aufregung einen Sprung. Antwort von Cam! Rasch schrieb sie zurück: Das ist ja fast so komisch wie das, was am Planwagen abgelaufen ist! Du weißt schon, dass wir zur gleichen Zeit da aufgekreuzt sind. Völlig, erschien beinahe augenblicklich die Antwort. Tut mir Leid mit deiner Mom. Halt mich nicht für verrückt, aber hat sie graue Augen ? Braune, tippte Alex. Meine Mom hat braune Augen - und keine Krankenversicherung. Deshalb dachte ich ... Ihre Finger glitten von der Tastatur. Mit einem Mal wurde sie von Magenschmerzen erfasst, die sie stöhnend zusammenklappen ließen. Ihre Hände wurden feucht. Ihr Gesicht fühlte sich nass an. Sie verspürte plötzlich eine Leere in der Brust, vollkommene Hoffnungslosigkeit - gefolgt von eisiger Trauer. »Alexandra?« Mrs Bass eilte zu ihr. »Was ist los? Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Meine Mom«, Alex schnappte nach Luft. »Ich muss zu ihr ins Krankenhaus. Sofort.«
Sara lebte noch. Knapp.
Alex stürzte ins Zimmer und prallte beinahe mit einem alten, weißhaarigen Arzt zusammen, der ihr mit raschem Schritt entgegenkam. Als sein Kittel ihren Arm streifte, entstanden zwischen ihnen knisternde Funken.
Sie durchquerte das Zimmer, vorbei an dünnen Trennwänden, hinter denen Fremde lagen. Eine Krankenschwester saß am Bett ihrer Mutter und benetzte Saras Lippen mit einem Eiswürfel. »Was ist passiert?«, fragte Alex. »Wir haben versucht, dich zu erreichen«, erwiderte die Frau. Mit einem lauten Plong! ließ sie das schmelzende Eis in eine Metallschüssel fallen und stand auf. »Sie ist sehr schwach. Ich lasse den Stationsarzt rufen. Er wird es dir erklären.«
»War er das nicht gerade?«, fragte Alex, aber die Schwester war schon im Flur verschwunden, ohne ihr eine Antwort zu geben. »Alex?« Die Augen ihrer Mutter waren zu Schlitzen verengt, als hätte sie nicht mehr die Kraft, ihre Lider ganz zu öffnen. »Kleine, ich bin so froh, dass du hier bist.« Sara streckte ihr suchend eine dünne, blasse Hand mit roten Knöcheln entgegen. »Es tut mir Leid, Alex. Bitte verzeih mir.«
»Wofür denn? Mom, was ist passiert? Macht dir die Therapie wieder zu schaffen?«
»Ich hab's versucht.« Sara umfasste Alex' Hand. Ihre Haut war trocken und rissig. »Du bist das Wunderbarste, was mir jemals passiert ist, Kleine, und ich hab versucht, mein Versprechen zu halten. Ich hab's mit aller Kraft versucht, Alex, dich vor Gefahr zu beschützen, dir Sicherheit zu geben.«
»Ich bin doch in Sicherheit, Mommy«, flüsterte Alex. »Wirklich, mir geht's gut. Wir müssen uns jetzt um dich kümmern.« Matt schüttelte Sara den Kopf. »Hör auf ihn, Alex. Er sieht merkwürdig aus - manchmal Schrecken erregend, aber er ist gut.«
»Miss Fielding?« Alex drehte sich zu dem Arzt um, der auf sie zuschritt. Er sah sie nicht an. Er blätterte durch die Seiten einer Krankenakte. Es war nicht der gleiche Arzt, mit dem sie beinahe zusam-mengeprallt wäre, der mit dem elektrostatischen Kittel. Dieser war viel jünger. Er hatte leuchtend rote Haare und trug eine dicke Brille.
Hatte ihre Mom diesen Mann gemeint? Er sah gar nicht so merkwürdig aus und sicherlich nicht Schrecken erregend. Mehr so wie ein weltfremder Professor. »Sind Sie die Tochter?«, fragte er.
Alex nickte und wünschte sich, dass der Typ aufblicken würde.
»Wir haben versucht, Sie zu erreichen.«
»Ich war in der Bibliothek«, sagte Alex. Ihre Wut über sein lässiges Auftreten verwandelte sich augenblicklich in Schuldgefühle.
»Nun ja«, sagte er und sah ihr endlich in die Augen. »Wie alt sind Sie?«
Sie wusste, dass sie besser nicht »vierzehn« sagen sollte.
»Achtzehn«, log sie und hoffte, dass ihre Mom ihr nicht widersprechen würde.
»Es ist ihre Leber ...«, sagte der Arzt.
»Ihre Lunge, meinen Sie?«
»Der Tumor hat Metastasen gebildet, Miss Fielding. Er hat auf andere
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