Finsteres Verlangen
los, Anita?«
Ich seufzte. »Ich glaube, ich habe nicht mehr die Nerven für solchen Mist. Nicht meinetwegen, sondern wegen der anderen. Beim letzten Mal, als die Werratten mir geholfen haben, ist einer von euch draufgegangen und einer schwer verletzt worden.«
»Bei mir ist alles hübsch verheilt.« Claudia kam zu uns, ein Meter achtundneunzig Muskeln. Sie trug die langen schwarzen Haare als straffen Pferdeschwanz, sodass ihr Gesicht rein und schmucklos wirkte. Ich hatte sie noch nie geschminkt gesehen, vielleicht weil sie es nicht nötig hatte.
Sie trug einen dunkelblauen Sport-BH und dunkelblaue Jeans. Sie hatte meistens einen Sport-BH an, vermutlich weil es für sie schwierig war, bei ihrem spektakulären Schulterund Brustumfang passende Blusen zu finden. Sie war sehr muskulös, aber nicht so, dass sie maskulin wirkte. Nein, Claudia war sehr weiblich.
Bei unserer letzten Begegnung hätte sie durch einen Schusswechsel fast einen Arm verloren. An der rechten Schulter waren hellrosa Narben zu sehen. Bei Silbermunition kriegt selbst ein Gestaltwandler Narben. Möglicherweise hätte sie sogar ihren Arm nicht mehr gebrauchen können. Doch er sah wieder genauso funktionsfähig und muskulös aus wie der linke.
»Du siehst großartig aus. Was macht der Arm?«, fragte ich lächelnd. Das gefiel mir an meinem Umgang mit Monstern am meisten: ihr Heilungsvermögen. Echte Menschen kommen in meinem Beisein häufig um, Monster überleben. Applaus für die Monster.
Claudia beugte den Arm und ließ die Muskeln spielen. Es war wirklich beeindruckend. Ich stemmte auch Gewichte, aber nicht in dem Maße. »Er ist noch nicht wieder so kräftig wie vorher. Ich kann gerade mal hundertvierzig Pfund damit heben.«
Ich konnte mein eigenes Körpergewicht heben und ein paar Pfund mehr und war bisher ziemlich stolz darauf gewesen. Jetzt fühlte ich mich plötzlich unzulänglich.
Ich wollte sie fragen, ob sie wirklich bereit war, ihr Leben und diesen beeindruckenden Körper für mich aufs Spiel zu setzen, aber ich tat es nicht. Es gibt Fragen, die man nicht stellt. Nicht laut.
Ich stand an der schwarz verspiegelten Scheibe, die von draußen wie ein Stück der Außenwand aussah. Ich hatte mich immer gefragt, wieso die Hintertür jedes Mal geöffnet wurde, wenn ich darauf zuging. Jetzt wusste ich es – es gab einen Ausguck. Wir hätten die bösen Jungs den ganzen Tag unbemerkt beobachten können.
Der Ausguck befand sich auf einer schmalen Empore über der Haupthalle des Zirkus und war ausgestattet mit Ferngläsern, bequemen Stühlen und einem kleinen Tisch. Davon abgesehen lagerten dort hauptsächlich Kabel und Requisiten wie hinter der Bühne eines Theaters. Unter dem Dach des Zirkus waren weitgehend Stahlträger und Balken zu sehen, da er ursprünglich ein Lagerhaus gewesen war, aber es gab diesen umlaufenden Deckenstreifen, und jetzt, wo ich die Empore kannte, fiel mir ein, dass ich ihn von unten durchaus wahrgenommen hatte. Ich hatte gefragt, ob es noch mehr Ausgucks gäbe. »Natürlich«, hatte es geheißen. Wer dumm fragt!
»Claudia wird einen der beiden Wagen fahren«, sagte Bobby Lee.
»Ich finde, das sollte jemand tun, der harmlos und normal aussieht.«
Claudia schoss mir einen unfreundlichen Blick zu.
»Das soll keine Beleidigung sein, aber du siehst nun mal nicht normal aus.«
»Sie wird sich was überziehen, das Haar offen tragen und wie ein ganz normales Mädchen aussehen«, sagte Bobby Lee.
Ich sah zwischen den beiden hin und her. Sie war größer als er, aber genauso breitschultrig, und sie hatte mehr Masse. »Weißt du, Bobby, wenn ich vor der Wahl stünde, ob ich mit dir oder Claudia Armdrücken spielen soll, würde ich mich für dich entscheiden.«
Er sah mich nur verständnislos an.
»Spar dir den Atem, Anita«, sagte Claudia. »Ich kann noch so viel Muskeltraining machen, für die bleibe ich ein Mädchen.«
»Wovon redet ihr da?«, fragte Bobby Lee.
Ich versuchte, mich klar und deutlich auszudrücken. »Claudia ist muskulöser und größer als die übrigen Werratten, die heute hier sind. Warum setzt du sie in den ersten Wagen, wo es darauf ankommt, dass der Fahrer normal und harmlos aussieht? Sie sieht überhaupt nicht harmlos aus.«
Er sah mich verwundert an. »Aber man wird ihre Muskeln unter dem Hemd gar nicht sehen.«
»Sie ist zwei Meter groß und hat genauso breite Schultern wie du. Das lässt sich unter keinem Hemd verstecken.«
»Das ist mir klar, Anita.«
»Warum setzt du sie dann gerade dort
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