Finsteres Verlangen
RPIT entfernt.«
»Was wirst du tun?«, fragte er mit leiser Belustigung.
»Jason rausholen.« Ich schnallte mich an und versuchte, mir das Handy unters Ohr zu klemmen, damit ich losfahren konnte.
»Hältst du das für möglich?«
»Sicher«, sagte ich, und fast rutschte mir das Handy weg, aber ich bekam den Zündschlüssel gedreht. Anscheinend war heute nicht mein Tag für Multitasking.
»Du klingst so zuversichtlich, ma petite.«
»Bin ich.« War ich auch. Nur das Flattern in meinem Bauch war anderer Meinung. »Ich muss jetzt los.«
»Viel Glück, ma petite. Ich hoffe, du rettest unseren Wolf.«
»Ich tue mein Bestes.«
»Daran gibt es keinen Zweifel. Je t’aime, ma petite.«
»Ich liebe dich auch.« Wir legten auf. Wenigstens das hatten wir gesagt. Besser als sich anzuschreien. Ich warf das Handy auf den Beifahrersitz und legte den Gang ein.
Und jetzt eins nach dem andern. Jason rausholen, ein paar Leute anrufen, um zu hören, ob sie was über Heinrick wussten, dann mich für das große Bankett mit Musette ankleiden. Ach ja, und überlegen, wie sich der Schlamassel mit Asher bereinigen ließe, ohne dass es meine Beziehung mit Jean-Claude beeinträchtigte. Ein Tag wie jeder andere. Ein Tag, an dem ich mal wieder dachte, ein neues Leben, ein anderes Leben wäre gar nicht so schlecht. Aber wo hatte ich das Rezept dafür hingelegt und konnte man etwas umtauschen, das über zwanzig Jahre alt war? Wo bekam man ein neues Leben, wenn man das alte nicht richtig hinbekam? Wenn ich das nur wüsste.
39
A m Eingang hielt mich keiner an, und niemand hinderte mich daran, die Treppe hochzusteigen. Im Gegenteil, ständig hieß es: »Hallo, Anita, wie geht’s?« Ich gehöre zwar nicht offiziell zum RPIT, arbeite aber schon so lange für dieses Dezernat, dass ich quasi zum Inventar gehöre.
Es war Detective Jessica Arnet, die etwas mehr als Hallo sagte. »Wo ist denn der süße Typ, den Sie sonst immer im Schlepptau haben?«
»Welcher denn?«
Sie lachte darüber und wurde ein bisschen rot. Das Erröten machte mich stutzig. Sie flirtete zwar immer mit Nathaniel, aber ich hatte mir nie etwas dabei gedacht. Bis jetzt.
»Scheinbar haben Sie mehr als die übliche Menge, aber ich meinte den mit den lila Augen.«
Jede Wette, dass sie den Namen genau kannte. »Der ist heute zu Hause geblieben.«
Sie legte einen Stapel Akten auf einen Schreibtisch, nicht ihren eigenen, und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Sie waren nicht lang genug, um sie hinter die Ohren zu klemmen. Offenbar eine Geste aus alten Zeiten mit längeren Haaren. Der kurze Schnitt war für ihr Gesicht nicht schmeichelhaft. Aber es war ein gutes Gesicht, dreieckig, fein geschnitten, hübsches Lächeln. Mir war nie aufgefallen, wie hübsch sie war.
Hatte Nathaniel manchmal den Wunsch, mit jemandem auszugehen? Nur auszugehen? Ins Restaurant und dann ins Kino, ohne Safewort und dergleichen? Irgendwann würde ich die Ardeur beherrschen und keinen Pomme de sang mehr brauchen, oder? Das war jedenfalls der Plan. Nathaniel sollte, na ja, sich verabreden. Oder? Wenn ich ihn nicht behalten wollte, sollte er Verabredungen haben.
Zwischen meinen Augen kündigten sich Kopfschmerzen an.
Detective Arnet streckte die Hand nach meinem Arm aus, zog sie aber zurück. »Alles in Ordnung?«
Ich rang mir ein Lächeln ab. »Ich möchte zu Zerbrowski.«
Sie sagte mir, in welchem Zimmer er war, weil sie nicht wusste, dass sie das nicht tun sollte. Aber Mann, nicht mal ich war mir darüber im Klaren. Theoretisch betraf das den Fall, bei dem Dolph mich hinzugezogen hatte, und folglich hatte ich das Recht, bei Jasons Befragung zuzuhören. Für mich klang das ganz logisch, aber wenn ich ehrlich war, doch ein bisschen verzweifelt, so als müsste ich sogar mich selbst überzeugen.
Auf Zehenspitzen ging ich auf die Tür zu, um durch das kleine Fenster zu spähen. Im Fernsehen hat die Polizei immer Befragungsräume mit riesigen Scheiben, die nur von außen durchsichtig sind. In Wirklichkeit haben nur wenige Reviere das Geld oder den Platz dafür. Das Fernsehen braucht sie für die Dramatik und weil die Kameraarbeit dann einfacher ist. Ich fand es in den echten Verhörräumen dramatisch genug. Aber vielleicht war ich auch nur in mieser Stimmung.
Ich wollte mich nur mit einem kurzen Blick vergewissern, dass ich vor dem richtigen Zimmer stand. Jason saß an dem kleinen Tisch, Zerbrowski gegenüber. Aber was mich völlig überraschte, war die Anwesenheit von Dolph, der an der Wand
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