Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Finsteres Verlangen

Finsteres Verlangen

Titel: Finsteres Verlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurell K. Hamilton
Vom Netzwerk:
Oberhemds stand offen, der Schlips war entsprechend gelockert, aber schief. Merlioni konnte Krawatten nicht ausstehen, gab sich aber meistens mehr Mühe mit seinem Aussehen.
    »Das muss ja ein übler Fall sein«, sagte ich.
    »Wie kommen Sie darauf?«, fragte er stirnrunzelnd.
    »Sie haben sich ziemlich hastig den Schlips gelockert, als wäre Ihnen die Luft weggeblieben, und haben mich noch kein einziges Mal Mädel oder Mäuschen genannt.«
    Er zeigte grinsend seine weißen Zähne. »Der Tag ist noch lang, Mäuschen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Gibt es Handschuhe, die wir uns borgen könnten? Ich habe heute nicht mit einer Tatortbegehung gerechnet.«
    Er sah Jason an, als würde er ihn jetzt erst bemerken, was natürlich nicht der Fall war. Polizisten nehmen alles wahr. »Und wer ist das?«
    »Ich brauchte heute mal einen Fahrer.«
    Er wackelte mit den Brauen. »Fahrer, hm?«
    Ich sah ihn missbilligend an. »Dolph weiß, dass ich zu wacklig auf den Beinen bin, um selbst zu fahren. Er hat mir erlaubt, ihn mitzubringen. Wenn draußen nicht so viel Presse stünde, hätte ich ihn vor der Tür gelassen, aber ich will nicht, dass er allein durch die Meute muss. Die würde ihm nicht abnehmen, dass er mit der Ermittlung nichts zu tun hat.«
    Merlioni trat an das große Wohnzimmerfenster und öffnete den Gardinenspalt ein bisschen. »Die sind heute verdammt hartnäckig.«
    »Wieso sind die überhaupt so schnell hier?«
    »Wahrscheinlich hat ein Nachbar sie angerufen. Heutzutage will jeder Idiot ins Fernsehen.« Er drehte sich zu uns um. »Wie heißt Ihr Fahrer?«
    »Jason Schuyler.«
    Er schüttelte den Kopf. »Der Name sagt mir nichts.«
    »Ich kenne Sie auch nicht«, bemerkte Jason freundlich.
    Ich runzelte die Stirn. »Ich kann Sie nicht korrekt vorstellen, Merlioni, weil ich Ihren Vornamen nicht kenne.«
    Er ließ die perlweißen Zähne aufblitzen. »Rob.«
    »Sie sehen nicht wie ein Rob aus.«
    »Das findet meine Mama auch. Ständig sagt sie – Roberto, ich habe dir so einen schönen Namen gegeben, du solltest ihn benutzen.«
    »Roberto Merlioni, gefällt mir.« Ich stellte die beiden ganz förmlich vor; so etwas hatte ich an einem Tatort noch nie getan. Merlioni vertrödelte seine Zeit mit uns, weil er nicht wieder hineingehen wollte.
    »Es steht eine Schachtel Handschuhe auf der Küchentheke. Bedienen Sie sich. Ich gehe nach draußen eine rauchen.«
    »Wusste gar nicht, dass Sie rauchen«, sagte ich.
    »Hab vorhin damit angefangen.« Er blickte mich gequält an. »Ich hab schon Schlimmeres gesehen, Blake. Sie auch. Aber heute bin ich müde. Vielleicht werde ich alt.«
    »Nicht Sie, Merlioni, Sie niemals.«
    Er lächelte, aber nur reflexhaft. »Bin gleich wieder da.« Dann wurde sein Lächeln breiter. »Verraten Sie Dolph nicht, dass ich Ihren Fahrer nicht rausgeworfen habe.«
    »Mit keiner Silbe.«
    Er ging raus und zog leise die Tür hinter sich zu. Es war recht still im Haus, zu still für einen Tatort, der gerade untersucht wurde. Es hätten überall Leute von der Spurensicherung herumlaufen sollen. Doch wir standen in einem einsamen Flur, wo es so still war, dass man das Blut in seinen Ohren rauschen hörte.
    Meine Nackenhaare richteten sich auf, und ich drehte mich zu Jason um. Der stand mit seinem babyblauen T-Shirt da und machte hinter der verspiegelten Sonnenbrille ein friedliches Gesicht, doch dabei verströmte er seine Energie, dass ich eine Gänsehaut bekam.
    Er sah harmlos und freundlich aus, doch wer die Fähigkeit hatte, zu spüren, was er war, fand ihn im Augenblick bestimmt nicht harmlos.
    »Was ist mit dir?«, fragte ich flüsternd.
    »Riechst du das nicht?« Er flüsterte ebenfalls.
    »Was soll ich riechen?«
    »Fleisch, Blut.«
    Scheiße. »Nein.« Aber seine auf mich übergreifende Energie weckte das Tier in mir wie einen Geist in meinen Eingeweiden. Dieses Phantom reckte sich wie eine Raubkatze nach langem Schlaf, und da roch ich es auch. Nicht nur Blut, da hatte Jason recht, sondern auch Fleisch. Blut riecht metallisch wie alte Pennys, aber viel Blut riecht nach Hamburger. So roch es, wenn ein Mensch auf einen Haufen Fleisch reduziert worden war.
    Ich hob die Nase und schnupperte, holte tief Luft und schmeckte. Mein Fuß war auf der untersten Stufe, ehe es mir bewusst wurde. »Es ist oben«, flüsterte ich.
    »Ja«, bestätigte Jason mit einem sehr feinen Knurren in der Stimme. Wer es nicht kannte, hätte geglaubt, er habe nur eine tiefere Stimme als andere Leute. Doch ich wusste, was ich

Weitere Kostenlose Bücher