Finsteres Verlangen
das half mir zu denken, half mir zu zögern. Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, und mein Flüstern hallte seltsamerweise.
Sie winkte mich heran. »Wie du möchtest, ma petite, aber komm doch näher, damit ich dich besser verstehen kann.«
Wieder schüttelte ich den Kopf, zwang meine Finger, den schweren Stoff meines Kleides zu betasten. »Ich bin nicht deine ma petite.«
»Aber natürlich bist du das. Denn alles, was Jean-Claude gehört, gehört mir.«
»Nein«, widersprach ich. Mir schien, ich sollte mehr sagen, aber das Denken fiel mir schwer, wenn ich sie in Kerzenschein gehüllt dort sitzen sah, bei einer Schale voller Rosen. Die Rosen waren ihre eigene Züchtung und nach ihr benannt.
Sie stand auf, und ihre Röcke rauschten. Mein Herz schlug schneller bei dem Geräusch, mein Körper spannte sich an. Lauf, lauf!, schrie es in mir, aber meine Beine bewegten sich nicht.
Langsam kam sie auf mich zu. Ihre Brüste waren hochgeschnürt. Kurz kam mir die Erinnerung, wie es sich anfühlte, diese weiße Haut zu küssen.
Ich raffte meine Röcke, drehte mich auf meinen hohen Schuhen um und rannte. Der Raum verschwand und ich lief durch einen endlosen Korridor. Es war dunkel, es herrschte die Dunkelheit der Träume, in der man auch ohne Licht jedes Ungeheuer sieht. Doch was sich in den Alkoven entlang des Ganges versteckte, waren genaugenommen keine Ungeheuer.
Rechts und links von mir umschlangen sich Paare. Ich sah helle und dunkle Haut blitzen, Bilder fleischlicher Gelüste. Aber nichts sah ich deutlich, das wollte ich nicht. Ich rannte und versuchte, nichts zu sehen, aber natürlich war es nicht zu vermeiden, dass ich allerhand sah. Brüste quollen aus Miedern. Weite Röcke wurden gehoben und enthüllten, dass nichts darunter war als nackte Haut. Einem Mann bauschte sich die Hose um die Oberschenkel, und eine Frau beugte sich über ihn. Blut glänzte auf bleicher Haut, Vampire bleckten die Reißzähne, Menschen umarmten sie und bettelten um mehr.
Ich rannte schneller und schneller, behindert von den schweren Röcken und dem engen Korsett. Das Atmen war mühsam, jede Bewegung war mühsam, und egal wie schnell ich rannte, die Tür, die ich am Ende dieses wollüstigen Albtraums sah, schien überhaupt nicht näher zu kommen.
Dabei passierte gar nichts so Schreckliches in den Alkoven. Nichts, was ich nicht schon gesehen oder selbst getan hatte, doch ich wusste, wenn ich stehen bliebe, würden sie mich kriegen. Und ich wollte auf keinen Fall von ihnen angefasst werden.
Plötzlich war die Tür dicht vor mir. Ich griff nach der Klinke und zog daran. Sie war verschlossen. Natürlich war sie verschlossen. Ich schrie und wusste schon ehe ich mich umdrehte, dass die Leute aus den Alkoven herausgetreten waren.
»Komm freiwillig zu mir, ma petite«, sagte Belle.
Ich drückte die Stirn gegen die Tür und schloss die Augen, als ob sie mich nicht erwischen könnten, wenn ich mich nicht umdrehte und hinguckte. »Hör auf, mich so zu nennen.«
Sie lachte. Ihr Lachen glitt erregend über meine Haut. Jean-Claudes Lachen war schon erstaunlich, aber ihres … bei dem Klang wand ich mich zuckend an der Tür.
»Du wirst uns befriedigen, ma petite. Es wird geschehen. Du hast nur die Wahl, auf welche Weise.«
Ich drehte mich langsam, wie man es in Albträumen tut. Man dreht sich um in dem Wissen, dass es wirklich das Ungeheuer ist, dessen heißen Atem man hinter sich spürt.
Belle Morte stand in der Mitte des langen hallenden Korridors, und aus Jean-Claudes Erinnerungen wusste ich, dass es diesen Gang wirklich gab. Die Leute in den Alkoven sammelten sich um sie, ein riesiger, hungriger, halb nackter Mob.
»Ich reiche dir meine Hand, komm, nimm sie, und es wird für dich erregender, als du dir je erträumt hast. Aber wenn du dich mir verweigerst …« Mit einer kleinen Geste schloss sie all die gierigen Gesichter ein. »Es kann ein Traum oder ein Albtraum werden. Ganz wie du möchtest.«
Ich schüttelte den Kopf. »Du lässt niemandem die Wahl, Belle, niemals.«
»Dann wählst du also … den Schmerz.«
Der Mob stürmte auf mich zu, und der Traum zerschellte. Ich blickte keuchend in Nathaniels besorgtes Gesicht. »Du hast im Schlaf geschrien. Hast du schlecht geträumt?«
Das Herz schlug mir im Hals, ich konnte kaum schlucken. »Oh ja«, hauchte ich.
Dann roch ich Rosen, üppige, widerlich süße Rosen. Und Belles Stimme hallte mir durch den Kopf. »Du wirst uns befriedigen.«
Die Ardeur überströmte mich mit Hitze.
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